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Lucian

Lucian

Titel: Lucian
Autoren: Isabel Abedi
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dass du ausatmest.« Sie legte ihre Hand auf meine Brust. »Spürst du das? Lass deinen Atem hierhin fließen, gut so, noch ein Stück, atme aus, schieb die Luft nach unten. Es geht, siehst du? Gleich noch einmal. Ja, so ist es richtig.«
    »Ich . . .« Endlich fand ich meine Stimme wieder. Sie war ein klägliches Krächzen. »Ich . . . hab . . . geträumt, ich sterbe. Da war ein
    Raum, Mam. Mit einem grünen Teppich. Da war ein Bett. Ein Kronleuchter. Es war alles . . . so scharf.«
    Wieder rang ich nach Luft, ich fixierte Jannes Gesicht. »Da waren lauter Scherben. Und bei mir war . . . jemand, direkt neben mir. Er . . . es . . . ich konnte nicht . . .«
    Ich hielt inne. Das Sprechen half nicht. Im Gegenteil, mein Atem spielte nur noch mehr verrückt.
    Janne drückte meine Hand, dann machte sie Anstalten aufzustehen, ich hörte sie sagen, dass sie das Fenster öffnen würde, aber ich schüttelte den Kopf und krallte mich an ihrem Arm fest.
    Jannes Hand legte sich wieder auf meine Brust, aber es fühlte sich nicht mehr gut an. Ihre Hand war zu schwer. »Mein Schatz, es war nur ein Traum, hörst du?«
    Ich hörte, was sie sagte, aber ich fühlte es nicht.
    »Rebecca.« Jannes Stimme klang jetzt zärtlich und eindringlich. »Bedrückt dich etwas? Die Sache mit Sebastian? Oder war was mit Dad und Michelle? Träume stehen für etwas, Wölfchen, und manchmal hilft es, wenn man herausfindet, wofür.«
    Nein, schrie es in mir. Da ist nichts. Die Sache mit Sebastian war jetzt fast sechs Wochen her und mit Dad war alles bestens. Verdammt, mir ging es bestens.
    Janne musterte mich. Ihr forschender Blick war jetzt voller Sorge und plötzlich wünschte ich mir, dass sie aufhörte, mich so anzusehen.
    Meine Mutter war Psychologin und was Träume anging, die Spezialistin schlechthin. Obwohl mich ihre Angewohnheit, allem auf den Grund zu gehen, manchmal nervte, wusste ich, dass sie in jeder Hinsicht für mich da war – nicht auf diese »Ich–bin–deine–beste–Freundin–Tour«, sondern auf eine im besten Sinne mütterliche Art. Ich wollte sie fragen, ob es normal war, von seinem eigenen Sterben zu träumen, und ob ein Traum wirklich so echt wirken konnte. Aber ich sprach es nicht aus, denn irgendetwas gab mir plötzlich die Gewissheit, dass meine Mutter mir nicht helfen konnte.
    Das erste Mal in meinem Leben fühlte ich mich allein.
    »Ist schon gut, Mam«, brachte ich mühsam hervor. »Es geht wieder . . . danke. Ich glaub, ich sollte einfach versuchen weiterzuschlafen.«
    Mit aller Kraft konzentrierte ich mich darauf, ruhiger zu atmen, und ganz langsam gelang es mir auch. »Ich bin okay«, sagte ich schließlich mit festerer Stimme. »Wirklich.«
    »Also gut«, sagte Janne zögernd. »Ich lass meine Zimmertür offen. Wenn was ist, brauchst du nur zu rufen, in Ordnung?«
    »Danke, Mam. Schlaf gut.«
    »Du auch.« Janne blieb noch ein paar Sekunden in der Tür stehen, dann fiel leise die Klinke ins Schloss.
    Ich ballte meine Hände zu Fäusten. Von wegen okay. Die Panik lauerte noch immer ganz dicht unter der Oberfläche, wie ein Tier, bereit zum Angriff. Ich überlegte verzweifelt, was ich jetzt machen sollte. Janne hatte das Licht im Zimmer brennen lassen. Ich hatte noch nie im Hellen schlafen können, aber allein der Gedanke daran, das Licht zu löschen, ließ die Angst ihre Krallen ausfahren.
    Mit einem Ruck schlug ich die Decke zurück, um jetzt doch das Fenster zu öffnen. Wenigstens würde die Nachtluft diesen widerlichen Schweißgeruch vertreiben. Als ich aus dem Bett stieg, trat ich auf etwas Weiches. Es war der kleine Bär. Er musste im Schlaf aus dem Bett gefallen sein. Ich hob ihn auf, presste ihn an meine Brust und taumelte zum Fenster.
    Der Sturm hatte sich gelegt. Kein Windhauch regte sich. Stattdessen war Nebel aufgestiegen, die Luft war blass und feucht. Unser Haus lag am Ende der Straße, von meinem Fenster aus konnte ich direkt auf die Elbe schauen.
    In der Ferne sah ich die Lichter der Queen Mary , des großen Kreuzfahrtschiffs, das gestern im Hamburger Hafen eingelaufen war. Ich war dort gewesen, mit Suse und ungefähr tausend anderen Schaulustigen. Wir hatten Fischbrötchen gegessen, heiße Schokolade getrunken und ich hatte mich halb totgelacht über Suses blöde Witze. Am liebsten würde ich meine beste Freundin jetzt anrufen. Oder Sebastian. Plötzlich sehnte ich mich nach ihm.
    Die Straße unter mir war wie ausgestorben. Es musste schon spät sein. Alle Fenster der Häuser waren dunkel und selbst
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