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Lucian

Lucian

Titel: Lucian
Autoren: Isabel Abedi
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Ladys« versenken wollte.
    »Wieso nicht?« Janne starrte verblüfft von Spatz auf den Gummizwerg.
    »Weil der nimmersatte Anton das Glück meiner Kindheit war«, rief Spatz empört. »Nur über meine Leiche kommt der auf den Flohmarkt.« Sie packte Janne am Handgelenk und fing an, sie durchzukitzeln, bis meine Mutter lachend aufgab und den Plastikzwerg fallen ließ.
    »Komm her, Anton.« Spatz hob ihn auf und nahm ihn schützend inden Arm. »Weg von der kaltherzigen Mittwochskönigin. Ab heute . . .«, sie grinste den Zwerg an, » . . . thronst du auf unserem Fernseher.«
    »Auf dem Fernseher? Was soll das Teil denn auf dem Fernseher?«, fragte ich entgeistert.
    »Das Teil?« Spatz pustete sich eine Staubflocke von der Nase und funkelte mich an, als hätte ich mich gerade selbst in einen Gummizwerg verwandelt, und zwar in einen bösen. »Was deine Mutter auf dem Flohmarkt verschachern will, ist kein Teil, sondern ein Meilenstein der deutschen Fernsehgeschichte!«
    Sie hielt mir den Gummizwerg vor die Nase. »Darf ich bekannt machen?«, fragte sie und ließ den Zwergenkopf hin- und herwackeln. »Rebecca, das ist der nimmersatte Anton, Genosse der Mainzelmännchen und Star des Werbefernsehens aus den Siebzigerjahren. Anton, das ist Rebecca, Ersttochter von Janne und Zweittochter von mir. Sag Guten Abend.«
    »Gut’n Aaaaaaaaaaaabend«, quiekte der Gummizwerg mit Spatz’ verstellter Stimme und ich musste lachen.
    Janne strich sich stöhnend das blonde Haar aus der Stirn. Ein schwarzer Streifen zog sich quer über ihr Gesicht und passte so gar nicht zu ihr. Meine schöne Mutter mit dem Körper einer Marathonläuferin konnte man morgens um drei Uhr aus dem Tiefschlaf wecken und sie sah immer noch perfekt aus.
    »Also gut. Solange Antons Genossen nicht irgendwo im Hinterhalt lauern, kann er bleiben«, sagte sie und beugte sich wieder über ihre Kiste. »Was ist hiermit?«
    Janne hielt eine rote Plastiktrompete hoch und ich kreischte: » Ohhh, die hat Daddy mir geschenkt, weißt du noch? Nach dem Kindergartenfest, wo mir Sören seine halbe Bratwurst aufs Kleid gekotzt hat. Ich hab gestunken wie Sau und mich total geschämt und abendshat Dad mir zum Trost die Trompete mitgebracht. Soll ich euch was vorspielen?«
    »Törööö«, machte Spatz und zwinkerte mir zu.
    »Leute, so kommen wir nie weiter«, nörgelte Janne. »Die Aktion des Abends heißt nicht Spielen, sondern Ausmisten. Also, weg damit oder nicht?«
    »Nicht.« Ich legte die Trompete zur Seite und öffnete die große Bücherkiste. Zwischen Jannes Fachbüchern, Spatz’ Kunstbänden und ein paar speckigen Kochbüchern fischte ich einige alte Bilderbücher heraus.
    Meine Mutter rutschte zu mir herüber und schlug Wo die wilden Kerle wohnen von Maurice Sendak auf. »Das war dein Lieblingsbuch«, sagte sie. »Du hast dich wahnsinnig vor den Monstern gefürchtet, die Max in seiner Traumreise besuchte. Aber du wolltest die Geschichte immer wieder hören.« Janne lächelte mich an. »Du hast die Augen geschlossen und bist in deiner Fantasie mit Max auf dem Segelschiff davongereist. Ich sollte dir die wilden Kerle vormachen. Du wolltest ihr fürchterliches Brüllen hören und sehen, wie sie ihre fürchterlichen Zähne fletschten, ihre fürchterlichen Augen rollten und ihre fürchterlichen Krallen zeigten – bis Max Seid still sagte und sie mit seinem Zaubertrick zähmte. Weißt du noch, Wölfchen? Du kanntest den Text auswendig.«
    Ich legte meinen Kopf auf Jannes Schulter und sah auf das Segelschiff, in dem der kleine Max mit seinem Wolfspelz saß. Das Papier war schon ganz vergilbt und strömte diesen undefinierbaren Geruch alter Bücher aus.
    »Ja, das weiß ich noch«, sagte ich und warf Spatz einen Blick zu. »Und du hast mir ein Bild von dem Schiff gemalt. Aber es stand nicht Max, sondern Rebecca darauf.«
    Und so ging es weiter. Jedes Teil, das wir aus den Kisten zogen,brachte eine Geschichte mit sich. Da war das Mörderdirndl mit der roten Schürze, das meine Großmutter mir zur Einschulung aus München mitgebracht hatte. Im Stoff, direkt über dem linken Schulterblatt, steckte eine vergessene Sicherheitsnadel. Das erste und einzige Mal, dass ich das blöde Ding trug, öffnete sich die Nadel, und als ich auf dem Schulhof beim Spielen geschubst wurde, rammte sich die Spitze tief in meine Haut.
    Da war die winkende Glückskatze aus goldlackiertem Plastik, ein Mitbringsel aus Asien von Spatz für Janne. Am selben Tag kaufte Janne ein Rubbellos und gewann dreißig
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