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Lost Girl. Im Schatten der Anderen

Lost Girl. Im Schatten der Anderen

Titel: Lost Girl. Im Schatten der Anderen
Autoren: Wolfram Ströle
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sie verwenden kann, Sean.« Ich beiße die Zähne zusammen. »Vielleicht als Geburtstagsgeschenk für Lucy?«
    Sean seufzt. »Ich lasse dir das durchgehen, weil du so etwas noch nie gefragt worden bist. Und offenbar ist es mir noch nicht gelungen, dir beizubringen, wie man auf eine solche Frage normalerweise reagiert. In Zukunft solltest du vielleicht wissen, dass ein Freund, der sagt, er habe zwei Karten und fragt, ob du eine willst, damit im Allgemeinen meint, dass er gern mit dir zu der entsprechenden Veranstaltung gehen würde.«
    Ich bemerke seine Ironie nicht, sondern starre ihn nur entgeistert an. Buch und Aufsatz sind vergessen. »Soll das heißen, du fragst, ob ich gern mit dir in den Zoo gehen würde? Also wirklich hingehen? «
    »Bravo«, lobt er.
    Woher weiß er, dass das schon lange mein sehnlichster Wunsch ist?
    Ich springe auf. »Meinst du das ernst, Sean?«
    »Natürlich«, erwidert er ungeduldig. »Warum sollte ich dich fragen, wenn ich es nicht ernst meinte, Dumpfbacke?«
    Ich zögere. »Ist das auch wegen des Tattoos?« Ich sehe mein künftiges Leben vor mir, eine einzige Folge mitleidiger Gesten wie Scones und Zoobesuche. Die Vorstellung, dass ich Sean nur leidtun könnte, ist unerträglich.
    Er zieht zwei Karten aus der Tasche. »Hier«, sagt er. »Das sind die alten Karten, bevor ich sie umgetauscht habe. Lies das Datum.«
    »Sie gelten für nächsten Monat.«
    »Und da unten steht das Datum des Tages, an dem ich sie gekauft habe.«
    »Das war vor zwei Wochen.«
    »Eben. Das heißt, ich hatte sie längst gekauft, als ich von dem Tattoo erfuhr. Ich habe sie nur umgetauscht, damit wir schon morgen gehen können, was zugegeben mit diesem bescheuerten Tattoo zu tun hat. Ich dachte, du könntest eine Aufmunterung gebrauchen. Aber ich wollte dich sowieso fragen.«
    »Warum?«, frage ich verwirrt.
    »Jeder sollte mal in den Zoo gehen. Also willst du?«
    »Ja«, sprudelt es aus mir heraus und ich kriege vor Aufregung keine Luft. »Danke, ja, klar will ich das!«
    »Es ist eigentlich nicht erlaubt«, erinnert Sean mich, »deshalb müssen wir aufpassen. Die Zugfahrt dauert über eine Stunde.«
    Ich hebe das Kinn und weigere mich, mir durch solch eine Überlegung den Glücksmoment kaputt machen zu lassen, diese unverhoffte Chance, die ich vielleicht kein zweites Mal bekommen werde.
    »Keiner muss davon erfahren«, sage ich.
    »Keiner von den anderen«, stimmt er zu. »Aber Mina weiß Bescheid. Ich habe sie vorhin gefragt. Ich musste sie überreden, aber dann war sie einverstanden. Ich glaube, sie wünscht sich auch, dass du mal rauskommst. Aber nur, ich zitiere, solange ich dich keinen Moment aus den Augen lasse.«
    »Ich brauche keinen Aufpasser«, rufe ich empört.
    »Du kannst dich vielleicht in einer Rauferei gegen andere wehren, aber von der Welt außerhalb dieser Stadt hast du keine Ahnung. Wenn du dich verirrst, läufst du wahrscheinlich einem Jäger in die Arme. Und dann hast du ein echtes Problem.«
    Ich durchbohre ihn mit einem finsteren Blick, bin aber so dankbar und euphorisch, dass ich mich nicht lange ärgere. Eine widerspenstige Haarsträhne fällt mir in die Stirn und ich blase sie ungeduldig zur Seite.
    »Fährt der Zug auf dem Weg zum Zoo durch Lancaster?«, frage ich eifrig.
    »Tut er.«
    »Dann könnten wir doch auf dem Rückweg bei dir zu Hause vorbeischauen?«
    Sean sieht mich sonderbar an. »Du willst zu mir nach Hause? Warum ausgerechnet …«
    »Ich bin eben neugierig.«
    Er verdreht die Augen. »Gut, wenn du unbedingt willst, warum nicht?«
    Den restlichen Abend bin ich so aufgedreht, dass Mina Ma droht, mir die Fahrt zu verbieten, wenn ich mich nicht zusammenreiße. Sean bietet an, auch für sie eine Karte zu kaufen, aber sie will nicht. Sie ist froh, sagt sie, wenn sie »den ganzen Trubel« nicht miterleben muss. Trotzdem brummt sie etwas von »Mädchen allein mit Jungs«, » Zoo , ausgerechnet« und »wenn die das erfahren«.
    Die letzte Bemerkung beschäftigt mich und in meine Aufregung mischt sich Angst. Was, wenn die Meister tatsächlich davon erfahren? Wenn ich die Stadt verlasse, mache ich mich strafbar, auch in Begleitung eines Vormunds. Ich darf Windermere nicht verlassen und keine belebten Orte aufsuchen. Jemand könnte das Zeichen auf meinem Nacken sehen und erraten, was ich bin.
    »Was machen sie mit uns, wenn sie uns erwischen?«
    »Ich weiß nicht«, sagt Sean.
    Seine Stimme gibt nichts preis, aber ich sehe ihm in die Augen, die ehrlich sind und sehr grün, und
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