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Lost Girl. Im Schatten der Anderen

Lost Girl. Im Schatten der Anderen

Titel: Lost Girl. Im Schatten der Anderen
Autoren: Wolfram Ströle
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wieder zurück.

12. Schluss
    U nd du kommst wirklich wieder?«, fragt Lekha.
    »Mein Flug geht morgen.« Ich höre das Staunen in ihrer Stimme und beobachte, wie die Sonne sich auf der Fensterscheibe in allen Regenbogenfarben bricht.
    »Mir ist, als wärst du schon eine Ewigkeit weg.«
    »Ich weiß.«
    »Und holt Amarras Mutter dich ab? Vielleicht frage ich sie, ob sie mich mitnimmt. Ich möchte dich so schnell wie möglich sehen. Du bekommst nämlich noch einen Tritt in den Hintern dafür, dass ich mir so viele Sorgen machen musste.«
    Ich lache. Dann reden wir noch eine Weile über alltägliche Dinge wie Mrs Singh und die Schule und was für ein Geschenk ich Lekha mitbringen soll.
    »Und was sind deine weiteren Pläne?«, fragt Lekha, bevor wir auflegen.
    Ich kann die Frage nicht beantworten.
    Keine Ahnung, was ich tun werde, wenn ich nach Bangalore zurückkehre. Ich werde Sasha knuddeln und Nik und Lekha umarmen und abwarten, was sich ergibt. Ray hat mich an die Jäger verraten, aber ich kann ihm nicht für alle Zeiten aus dem Weg gehen. Wenn ich an ihn denke, bin ich ganz durcheinander. Früher oder später müssen wir miteinander reden und das ganze Gefühlschaos aufdröseln, das mit Amarra, ihm und mir zu tun hat.
    In einem einzigen Leben ist nicht Platz für alles und ich glaube, ich werde immer mit Amarra um den Platz kämpfen müssen, den wir gemeinsam belegen. Sie wird immer der Geist im Spiegel sein. Ich habe sie besiegt, bin sie aber nicht los. Morgen kehre ich in unser gemeinsames Leben zurück. Ich werde mich für immer von meinen Vormunden verabschieden. Sean habe ich nicht mehr gesehen, seit ich ihn weggeschickt habe, ich weiß nicht einmal, ob er wohlbehalten nach Hause gekommen ist. Erik hat versprochen, dass er das in Erfahrung bringt, auch wenn wir beide wissen, dass ich ihn wahrscheinlich nie wiedersehen werde.
    Ich lege den Hörer auf und trete an das Fenster des Hotelzimmers. Mina Ma kauft gerade in einem Geschäft in der Nähe etwas zum Abendessen ein. Ich lasse ihr eine Nachricht im Zimmer, vergewissere mich, dass meine Haare das Mal in meinem Nacken verdecken, und gehe nach draußen.
    Es fühlt sich ungewohnt an, durch die Straßen von London zu gehen, ohne sich ständig umsehen zu müssen. Ich fahre mit der U-Bahn zur Oxford Street. Dort haben die Läden noch eine halbe Stunde geöffnet. Ich kaufe Geschenke für Lekha und die Kinder und dann von einem Straßenverkäufer noch ein Eis, weil ich den ganzen Tag kaum etwas gegessen habe. Auf dem Rückweg zur U-Bahn sieht ein Junge mit schwarzen Haaren und grünen Augen lächelnd in meine Richtung und ich muss den Blick abwenden, so unerträglich stark ist die Sehnsucht in meiner Brust.
    Geht weg!, rufe ich den Geistern stumm zu und scheuche sie fort wie lästige Fliegen. Den Geistern macht das nichts aus. Sie folgen mir trotzdem: als Spiegelbilder in den schwarzen Scheiben der U-Bahn und als Stimmen, die mir ins Ohr flüstern. Sean lässt mich nicht allein.
    Ich betrachte das zierliche Armband an meinem Handgelenk. Muscheln vom Strand sind auf eine Schnur geknotet, kleine, vollkommene Muscheln, jede anders geformt. Sean hat es mir geschenkt. Ich starre das Armband an, als könnte ich ihn dadurch aus meiner Erinnerung heraufbeschwören und Wirklichkeit werden lassen. Wenn ich einen einzigen Wunsch frei hätte, würde ich mir wünschen, ihn ein letztes Mal zu sehen.
    Aber ich habe um mein Leben gekämpft und gewonnen, vielleicht kann man nicht alles haben. Oder vielleicht ergibt sich irgendwann einmal die Möglichkeit zurückzukehren. Zu ihm.
    Statt auf direktem Weg zum Hotel zu gehen, steige ich in Covent Garden aus. Suchend sehe ich mich um. Ich weiß, dass ich im richtigen Stadtteil bin, aber nicht, in welche Richtung ich gehen muss.
    »Entschuldigung?«, frage ich ein Mädchen, das mir entgegenkommt. »Ich suche nach einem Platz …« Ich beschreibe ihn und sie erklärt mir den Weg.
    Der Platz öffnet sich vor mir. Am Brunnen bleibe ich stehen.
    Das Theater sieht im Licht des zur Neige gehenden Tages anders aus, nicht mehr wie der Ort, an dem wir uns sicher glaubten. Ich stehe nur da am Brunnen und beobachte, wie die Farbe des klaren, kalten Wassers sich im Licht der sinkenden Sonne verändert. Auf dem Platz um mich herrscht reges Treiben. Der Markt hat noch geöffnet und Fleischer, Fischhändler und Hausfrauen eilen an mir vorbei. Das Wasser verfärbt sich von Blau zu Rosa zu Gold.
    Ich blicke in das Becken des Brunnens und sehe die
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