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Lost Girl. Im Schatten der Anderen

Lost Girl. Im Schatten der Anderen

Titel: Lost Girl. Im Schatten der Anderen
Autoren: Wolfram Ströle
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offenbar kannst du dich nicht an meine Gesetze halten. Wenn du dann zurückkehrst, werde ich da sein. Und ich habe das Gefühl, dass dich dann kein Versprechen mehr retten wird.«
    Lange Zeit sagt niemand etwas.
    Schließlich bricht Matthew den Bann. »Erik, wärst du so nett, sie Ende der Woche in ein Flugzeug nach Bangalore zu setzen? Und pass bis dahin bitte auf sie auf.«
    Er streift mich mit einem bitteren, abwesenden Blick. Dann dreht er sich um und geht.
    Adrian wartet noch kurz, bevor er ihm folgt. Er schüttelt den Kopf. »Es hätte nicht so weit kommen müssen. Wenn du dich an unsere Abmachung gehalten und mir bei meinen Experimenten geholfen hättest, wäre das alles nicht passiert.« Ophelia . Der Name schwebt unausgesprochen über uns wie ein Damoklesschwert. Sie wäre noch am Leben, wenn ich mich anders entschieden hätte.
    »Ich kann hier nicht bleiben«, sage ich. »Ophelias Tod tut mir unendlich leid, aber ich hätte Ihnen nicht helfen können. Nicht so. Ich bin nicht Ihr Monster.«
    »Doch, das warst du schon immer«, sagt Adrian. »Vergiss das nie.«
    Ich sehe ihm nach. Elsa geht als Letzte. Sie rauscht mit einer ruhigen Würde hinaus, um die ich sie beneide. Davor sieht sie mich lange forschend an. Ich weiß nicht, nach was sie sucht.
    Als die drei weg sind, geben meine Beine unter mir nach. Ich setze mich auf den abgewetzten, staubigen Teppich. Im Hals habe ich einen dicken Kloß. Mina Ma hält mich fest und ich spüre ihre Liebe und Erleichterung genauso deutlich wie ihre Arme.
    »Danke«, flüstere ich. Sie hört es und Erik hört es auch, aber er dreht sich nicht zu mir um, sondern starrt weiter auf die offene Tür.
    Mina Ma runzelt die Stirn. »Erik?«
    »Die Meisterei zeigt Auflösungserscheinungen«, sagt er und sieht uns verwundert an. »Adrian und Matthew haben beide gezeigt, dass sie ihre eigenen Gesetze je nach Bedarf beugen. Adrian ist nur noch von seinen neuen Plänen besessen, und ohne Ophelia …« Eriks Stimme bricht. »… wird er sich noch mehr in sie hineinsteigern. Die Meister haben lange mit eiserner Hand regiert, aber jetzt lässt ihre Disziplin nach und die Meisterei droht zu zerfallen. Ein Stoß an der entsprechenden Stelle könnte ihr Ende bedeuten.«
    »Macht dir das Angst?«, frage ich.
    »Ich weiß nicht. Ich weiß nur, dass ich bis eben Angst um dich hatte.« Er kniet sich vor mich auf den Teppich und der Anflug eines Lächelns spielt um seine Lippen. »Sei nicht traurig. Die meisten Echos verlassen die Meisterei nur einmal, nämlich nach ihrer Erschaffung. Nur ganz wenige verlassen sie ein zweites Mal. Das ist doch etwas. Heute hast du gewonnen.«
    Alles ist anders. Auch ich habe mich verändert und werde mich weiter ändern. Ich werde erwachsen werden und muss lernen aufzupassen, weil die Meister mich jetzt besonders genau überwachen werden und Adrian nur darauf wartet, dass ich einen Fehler mache. Daran hat sich nichts geändert. In meiner Kindheit waren die Meister die bösen, furchterregenden Monster unter meinem Bett. Das sind sie immer noch. Sie beobachten mich und warten.
    Ich habe gewonnen, aber ich habe teuer dafür bezahlt. Und Adrians Hass auf mich gezogen. Wir haben das wahre Gesicht der Meisterei aufgedeckt, ihre Launen und Obsessionen gezeigt, ihre Grausamkeit und ihre Auflösungserscheinungen. Ich habe Sean weggeschickt, was er mir nie verzeihen wird, und Ophelia ist tot. Ich werde sie nie vergessen. Das Leben wird also nicht einfach so weitergehen wie vor Bangalore und Amarra und vor dem Schlafbefehl und meiner Rückkehr in die Meisterei.
    Ich frage mich, ob die Polizei Ophelias Tod untersuchen wird oder ob sie ein Auge zudrückt, weil sie der Meisterei und ihren sonderbaren, gespenstischen Spielen mit Leben und Tod nicht zu nahe kommen will. Ob Adrian zulässt, dass ich zu ihrer Beerdigung komme? Obwohl es fast keine Rolle spielt. Selbst wenn ich es mit eigenen Augen sehe, werde ich mir Ophelia nicht in einem Sarg unter der Erde vorstellen können. Für mich lacht sie, raucht im Garten des Hauses am See eine Zigarette, rümpft die Nase über einen Geburtstagskuchen und sucht hektisch in einem Lexikon nach der Bedeutung eines schwierigen Wortes. Das Haus am See ist jetzt hinter den Hügeln verschwunden und weit weg. Jonathan und Ophelia und die anderen kleinen Entchen sind dort, und vielleicht – wenn ich nur fest genug daran glaube – gehe ich ihnen eines Tages wie in dem Abzählreim nach und finde sie, und dann kommen alle kleinen Entchen
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