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Loretta Chase

Loretta Chase

Titel: Loretta Chase
Autoren: Ein skandalös perfekter Lord
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Kapitel 1
    Fgyptian Hall, Piccadilly, London
    September 1821
    Er stand an den Fensterrahmen gelehnt und
bot den Anwesenden im Ausstellungssaal eine formidable Rückansicht seiner
hochgewachsenen, wohlproportionierten und kostspielig gekleideten Gestalt. Die
Arme schien er vor der Brust verschränkt und seine Aufmerksamkeit dem Fenster
zugewandt zu haben, wenngleich er durch das dicke Glas vermutlich kaum mehr als
einen verschwommenen Blick auf Piccadilly erhaschen konnte.
    Offensichtlich
war indes, dass die Exponate – jene von Giovanni Belzoni in Ägypten entdeckten
Wunder – sein Interesse nicht zu wecken vermochten.
    Die Frau,
die ihn verstohlen musterte, fand, dass er das perfekte Bild eines
gelangweilten Aristokraten abgab.
    Überaus
selbstsicher. Absolut souverän. Makellos gekleidet. Groß. Dunkelhaarig. Er sah
zur Seite und präsentierte ein erwartungsgemäß nobles Profil.
    Doch er war
keineswegs, was sie erwartet hatte.
    Ihr stockte
der Atem.
    Benedict Carsington, Viscount Rathbourne,
wandte sich ab von dem dick verglasten Fenster und der verschwommenen Aussicht,
die es auf das lebhafte Treiben draußen bot – auf Pferde und Fußgänger,
Fuhrkarren und Karossen. Innerlich seufzend, richtete er seinen dunklen Blick
in den Ausstellungssaal, wo man den Tod zur Schau stellte.
    »Belzonis
Grab« – so der Titel der Ausstellung, in der die von dem berühmten
Altertumsforscher in Ägypten gemachten Funde
gezeigt wurden – hatte sich seit der Eröffnung am ersten Mai als durchschlagender
Erfolg erwiesen. Wider besseres Wissen hatte Benedict sich mit
eintausendneunhundert weiteren Besuchern am Tag der Eröffnung eingefunden. Dies
war nun sein dritter Besuch, und wieder wünschte er sehnlichst, anderswo zu
sein.
    Das alte
Ägypten übte auf ihn keineswegs dieselbe Faszination aus wie auf viele seiner
Verwandten. Selbst sein unbedachter Bruder Rupert war dem Zauber erlegen –
vielleicht weil das heutige Ägypten einem so mannigfaltige Möglichkeiten bot,
sich in unbedachte Abenteuer zu stürzen und um Haaresbreite am Tod
vorbeizuschrammen. Doch Rupert war ganz gewiss nicht der Grund, weswegen Lord
Rathbourne einen weiteren endlos scheinenden Nachmittag in der Egyptian Hall
zubrachte.
    Der Grund
seiner Anwesenheit saß am anderen Ende des Saals: Benedicts Neffe, der zugleich
sein Patenkind war – der dreizehnjährige Peregrine Dalmay, Earl of Lisle und
einziger Spross von Benedicts Schwager, dem Marquess of Atherton. Der Junge
zeichnete gerade mit großer Sorgfalt Belzonis Modell der berühmten Zweiten Pyramide
ab, deren Eingang der Forscher vor drei Jahren entdeckt hatte.
    Sorgfalt,
so würden Peregrines Lehrer einen wissen lassen – und so hatten sie es
Peregrines Vater wissen lassen, und das nicht nur einmal zählte nicht zu Lord
Lisles hervorstechendsten Charaktereigenschaften.
    Ging es
jedoch um irgendetwas auch nur annähernd Ägyptisches, konnte Peregrine von
geradezu wundersamer Ausdauer sein. Seit zwei Stunden waren sie schon hier,
aber es war nicht zu erkennen, dass seine Begeisterung nachließe. Jeder andere
Junge wäre vor spätestens eindreiviertel Stunden unruhig geworden und nach
draußen gestürmt, um sich auszutoben.
    Doch wäre
Peregrine jeder andere Junge gewesen, hätte Benedict
ihn auch nicht persönlich in die Egyptian Hall begleiten müssen. Er hätte einen
Diener geschickt, um das Kindermädchen zu spielen.
    Peregrine
indes war nicht jeder andere Junge.
    Er sah aus
wie ein Engel. Offenes, helles Antlitz. Flachsblondes Haar. Klare graue,
absolut arglose Augen.
    Wie der
Schein trügen konnte.
    Um Königin
Caroline und ihre Anhänger von der Krönung des Königs im Juli diesen Jahres
fernzuhalten, waren einige Boxer unter der Aufsicht von »Gentleman«
Jackson einbestellt worden. Gemeinsam mochte es diesen Burschen gelingen, den
Frieden zu wahren, wenn Lord Athertons Erbe zugegen war.
    Von derlei
brachialen Maßnahmen abgesehen, war der einzige Mensch, der auf Lord Lisle
einen nennenswerten Einfluss hatte, Benedict – oder vielmehr: der einzige außer
dem Earl of Hargate, Benedicts Vater. Aber Lord Hargate vermochte jeden
einzuschüchtern – jeden außer seiner Frau und würde sich zudem kaum dazu
herablassen, auf anstrengende Sprösslinge aufzupassen.
    Ich hätte
ein Buch mitbringen sollen, dachte Benedict. Er verkniff sich ein Gähnen und
ließ den Blick zu einer der zahlreichen Reproduktionen aus einem Pharaonengrab
schweifen. Während er das Flachrelief betrachtete, versuchte
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