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Lokale Erschuetterung

Lokale Erschuetterung

Titel: Lokale Erschuetterung
Autoren: Kathrin Gerlof
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Tablettenschachteln mit eingebautem Wecker, erklärt die Apothekerin. Soll ich Ihnen so etwas bestellen, fragt sie. Die eine nickt, die andere schüttelt den Kopf.
    Damit wirst du doch nicht anfangen wollen, Friede, sagt sie. Demnächst kaufst du dir dann noch ein Klo, das klingelt, damit du nicht vergisst, Wasser zu lassen.
    Hör einer den alten Schnepfen zu, denkt Hanns. Ein Klingelklo. Das ist doch keine schlechte Idee. Dann sind |336| die beiden Alten endlich weg, und die Apothekerin fragt Hanns, was er möchte.
    Der Junge, sagt er. Der Junge, mit dem ich heute Nacht hier war. Der mit der Platzwunde am Kopf. Der Junge.
    Die Apothekerin nickt und wartet geduldig. Schiebt dann doch ein Wiegehtesihm über den Tresen.
    Er ist tot. Hanns schaut sich in der Apotheke um, als könne er irgendwas von dem ganzen Zeug hier gebrauchen. Eine Medizin gegen Totsein.
    Die Apothekerin kommt hinterm Verkaufstresen vor und baut sich vor Hanns auf. Bist du sicher, fragt sie.
    Er ist kalt und steif, und ein Puls ist nicht zu fühlen. Er rührt sich nicht. Lässt sich schütteln wie ein Brett. Wie kann der tot sein?
    Die Kopfverletzung, ein Aneurysma, Herzversagen, ich weiß nicht. Ich bin Apothekerin. Du musst den Notruf wählen. Soll ich das für dich machen?
    Hanns nickt, und die Apothekerin geht zum Telefon. Sie kommen, sagt sie eine Minute später. Sind gleich bei dir. Geh nach Hause und nimm sie in Empfang. Sag ihnen, was gestern Nacht passiert ist. Aber sie werden obduzieren. Denke ich. Ein ungeklärter Todesfall. Da schneiden die auf.
    Die schneiden den Sohn meiner Frau auf, denkt Hanns. Das kann ich Veronika nicht erzählen. Er dreht sich um und geht. Rennt nach Hause. Da steht noch kein Krankenwagen. Warum auch. Bei Toten müssen die sich nun wirklich nicht beeilen.
    Die Wohnung ist so, wie er sie verlassen hat. Kein Wunder ist passiert, und das Unglück liegt noch immer stur und steif im Bett. Rührt sich nicht und zuckt nicht mit den Wimpern. Hanns geht ins Badezimmer und holt eine kleine Nagelschere aus dem Spiegelschrank. Sucht in der Küche eine kleine Plastiktüte. Findet keine. Nimmt stattdessen |337| die Tupperdose, die genau wie die Thermoskanne in der Einbauküche gestanden hatte, als er eingezogen war. Geht ins Schlafzimmer und setzt sich noch einmal zu Daniel aufs Bett. Schneidet dem Jungen neben der Platzwunde ein kleines Büschel Haare ab und legt sie in die Tupperdose.
    Das musst du jetzt abkönnen, murmelt er. Wir wissen immer noch nicht, ob du Veronikas Sohn bist. Und wie sollen wir das je erfahren? Ob Veronika jetzt eine Mutterwaise ist, nachdem sie nie Mutter sein konnte. Kann sein, dass sie es wissen will. Ich mach das hier also nicht für mich. Mir wäre es egal. War es schon immer. Ich wollte bloß, dass Vroni wieder eine Frau wird, die man gut vögeln und mit der man Spaß haben kann. Die nicht andauernd rumhängt wie ein Schluck Wasser und nicht verrückt wird. Was soll ich mit einer verrückten, nicht bevögelbaren Frau, kannst du mir das sagen?
    Hanns legt Daniel eine Hand aufs Gesicht. Und weint, bis es an der Wohnungstür klingelt.

Informationen zum Buch
    Veronika erhält Briefe von einem Unbekannten. Ist es ein ehemaliger Liebhaber oder ein Verrückter, der ihr da schreibtő Bald schon macht sie die Entdeckung, dass die Dinge völlig anders liegen könnten. – Nach dem Erfolg von „Alle Zeit“ erzählt Kathrin Gerlof in ihrem neuen Roman wieder von Menschen, die schwer zueinander finden und umkreist dabei drei universale menschliche Gefühle: Einsamkeit, Wut und Liebe.

    „Sätze wie Stromschläge. Mit wahrhaft magischer Lakonie erzählt Gerlof diese Geschichte.“ Berliner Zeitung (zu Alle Zeit)

Informationen zur Autorin
    KATHRIN GERLOF, geboren 1962 in Köthen/Anhalt, studierte Journalistik und arbeitete als Redakteurin für verschiedene Tageszeitungen. Sie lebt als Journalistin und Ro-manautorin in Berlin. 2008 debütierte sie mit dem von der Kritik gelobten „Teuermanns Schweigen“. Ihr zweiter Roman „Alle Zeit“(2009) wurde euphorisch besprochen und ein kleiner Bestseller. Ihr dritter Roman „Lokale Erschütterung“ erscheint im September 2011 im Aufbau Verlag.
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