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Lokale Erschuetterung

Lokale Erschuetterung

Titel: Lokale Erschuetterung
Autoren: Kathrin Gerlof
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murmelt Hanns, das ist ein Zustand und kein Schlagersänger. Damit ist der Bann gebrochen. Katja Schwenker wird wieder, was sie noch vor wenigen Minuten war. Eine frisch gevögelte, dicke Frau, deren Kummerfalten im Fett verschwinden. Dicke Frauen werden nur selten schwanger, denkt Hanns und muss über diese bescheuerte Theorie, die er sich da gerade zurechtgelegt hat, lächeln.
    Dicke Frauen werden nur selten schwanger, sagt er zu Daniel, als sie zehn Schritte von Katja Schwenkers Schönmithilfedernaturstand entfernt sind.
    Woher kommen dann all die dicken Kinder, fragt Daniel, und diese Frage findet Hanns dermaßen komisch, dass er dem Jungen auf die Schulter haut und lacht. Jetzt hören wir uns noch Kevin Pohl an und trinken ein Bier, schlägt er vor. Er stellt Daniel neben den Sitzbänken vor |317| der Bühne ab und geht los, um Nachschub zu besorgen. Er kann versuchen, den Jungen betrunken zu machen. Dann wird der schon die Wahrheit sagen. Also kauft Hanns zwei große dunkle Bier und drängelt sich mit den schweren Humpen in der Hand zurück durch die Menschenmenge. Wo kommen die alle her? In Frankenburg leben nie und nimmer so viele Leute. Niemals, murmelt Hanns. Frankenburg ist tot.
    Kevin Pohl ist auf seine Art einzigartig. Daniel findet ihn rührend, Hanns glaubt an die Parodie eines Schlagersängers. Der Typ kann höchstens zwanzig sein. Es ist ein Rätsel, wie und warum ein Zwanzigjähriger danach strebt, ein Schlagerstar zu werden. Der weiße Anzug des Bürschchens leuchtet auf der Bühne vor dunkelrotem Hintergrund. Kevin Pohl moderiert sich an und ab und erzählt, dass er seiner Oma zuliebe schon als Kind angefangen habe, alte Schlager zu singen. Vor einem Jahr ist meine Oma gestorben, sagt er, und Hanns hört tatsächlich, wie hinter ihm einer Frau ein kurzer Schluchzer entfährt, als stünde da oben ihr kleiner süßer Sohnemann.
    Der ist doch garantiert schwul, sagt Hanns zu Daniel, und dazu noch fast ein Kind.
    Daniel stöhnt. Hanns, warum machst du immer diese Sprüche. Das ist nicht komisch. Ich möchte wirklich mal wissen, wieso du diesen Physiognomiefaschismus betreibst.
    Weil es mir Spaß macht, Junge. Nur deshalb. Wegen mir kann schwul sein, wer will. Aber ich will meinen Spaß mit den Schwuchteln haben, verstehst du?
    Daniel nickt. Versteh ich. Schwule sind gut gegen die Wut. Wenn du nicht eines Tages anfängst, sie zu verprügeln, ist es ja in Ordnung. Jeder braucht was gegen die Wut.
    Klugscheißer, murmelt Hanns und wüsste gern, was Daniel sich gegen die Wut zurechtlegt. Er schaut den Jungen |318| von der Seite an und denkt, das könnte Veronika sein, die hier steht. Veronika, der Daniel mit Briefen zu Leibe rückt, bis sie verrückt wird. Das ist wirklich denkbar, es klingt sogar vollkommen logisch. Aber er kann ja trotzdem einen Versuch starten. Was hast du denn gegen deine Wut?
    Daniel starrt weiterhin auf die Bühne, wo sich Kevin Pohl mit dem Omasoliebheintjescheißsong abquält. Das geht jetzt wirklich zu weit, flüstert er, und Hanns ist sich nicht sicher, ob der geklonte Typ auf der Bühne gemeint ist oder seine Frage. Rechts neben ihnen steht eine Gruppe älterer Frauen. Die singen mit, als wären sie für den Background engagiert. Hanns rückt ein Stück näher an die Omaband und sagt: Das ist faschistisch, wissen Sie das? So eine eklige deutsche Schnulzensuppe kann Ihnen doch nicht ernsthaft gefallen.
    Die Frauen sehen ihn an, und er meint, Angst in ihren Augen auszumachen. Halten ihn wahrscheinlich für einen in die Jahre gekommenen Halbstarken. Wie eine Skulptur aus altem Fleisch und ehrlicher Empörung bewegen sie sich ein Stück weg von Hanns. Schön, sollen sie. Wahrscheinlich werden sie, eine wie die andere, heute Nacht davon träumen, von diesem lackaffigen Heintje da oben gepimpert zu werden.
Ach, wenn ich dich, meine Oma, nicht hätt
, singt Hanns leise und denkt an Veronika, die das ganze deutsche Volksliedgut hoch und runter schluchzt, wenn die Gespenster sie jagen. Hab ich ja noch Glück gehabt, dass Vroni sich nicht auf Schlager verlegt hat. Da wäre sie schon längst eine tote Frau. Meine tote Frau.
    Komm, sagt Hanns zu Daniel, komm, wir gehen. Das ist nichts für mich, und ich muss zum Glück auch nichts drüber schreiben. Irgendwo hier schwirrt mein Praktikant rum. Eine ziemliche Nulpe, aber das wird er wohl bringen: Hunderte Frankenburger kamen am Mittwochabend |319| in die Veranstaltungsscheune, um beim Fest der Volksmusik einen unterhaltsamen Abend zu
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