Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lokale Erschuetterung

Lokale Erschuetterung

Titel: Lokale Erschuetterung
Autoren: Kathrin Gerlof
Vom Netzwerk:
bei ihr. Inzwischen weiß sie so manches über die Nachbarn und das behagt ihr nicht.
    Hanns steht im Bad und denkt an Sex. Wuchtigen, feuchten, schmerzhaften Sex. Irgendeine Explosion müsste es geben. Hauptsache, der Körper hat etwas zu tun und im Kopf gehen endlich mal wieder die Lichter aus. Hanns hat eine Menge unausgesprochener Schweinereien auf Lager. Für Vroni, die nur noch Veronika genannt werden will, und für jede andere Frau, die ihm über den Weg läuft und gefällt. Das werden immer mehr. Je sparsamer Vroni mit ihm umgeht, desto mehr Frauen gefallen ihm. Wahrscheinlich ist er da schon am unteren Ende der Fahnenstange angelangt.
    |9| Er klappt den Toilettendeckel hoch und setzt sich auf die Schüssel. Es tut weh. Harter Schwanz und harter Stuhlgang, denkt Hanns. Ich sollte zu einer Hure und zum Proktologen gehen. In dieser Reihenfolge. In seinem Kopf entsteht eine blaue fette Wut. Für ihn ist Wut seit jeher blau. Dunkelblau. Er hat zu jedem Gefühl eine Farbe. Noch bevor das Gefühl von ihm Besitz ergreift, macht sich die Farbe in seinem Kopf breit. Er hat schon ein paar Mal versucht, das jemandem zu erklären. Ist aber immer gescheitert. Veronika meint, er sei vielleicht ein Synästhetiker. Sie hat ihm ein Buch geschenkt, aber darin kam er nicht vor. Jedenfalls nicht seine Variante von Wahrnehmung. Blaue Wut, silberne Verzweiflung, dunkelgrüner Hass.
    Es klingelt. Hanns zieht die Hose hoch, spült und geht zur Tür. Der dickliche Postbote hat vier Pakete. Und einen Dackelblick. Hanns unterschreibt und stapelt die Pakete im Flur. Fragt sich zum hundertsten Mal, was der Mann aus der achten mit den vielen Rosen macht. Hat keinen Garten, nur einen Balkon und lässt sich andauernd Rosen schicken. Die Frau aus der zweiten Etage vertreibt Putzmittel, Heilsteine und esoterische Bücher. Sektentussi, murmelt Hanns und riecht an dem Karton. Die Putzmittel sind irgendwie ein hartes Zeug. Vor Jahren wollte ihn ein Freund überreden, bei dieser Firma mitzumachen. Der kam von irgendeiner Motivationsveranstaltung in den Schweizer Bergen zurück. Und war hin und weg. Die sind wie eine große Familie, Hanns, hatte der Freund gesagt, und er hatte versucht, sich vorzustellen, wie sein bärenstarker Kumpel Fliesenreiniger und Kalkentferner vertreibt. An einsame betuchte Hausfrauen.
    Hanns zieht sich an, greift zum Parfüm seiner Frau, sprüht ein wenig auf seine unbehaarte Brust und überlegt, wie er diesen Tag in der Stadt herumbringt. Noch eine |10| Woche bis zum Bewerbungsgespräch. Eigentlich müsste es klappen. Wer will schon Lokalreporter in der tiefsten Walachei werden? Niemand außer ihm. Hanns Grabowski wird, wenn alles so kommt, wie er es wünscht und befürchtet, künftig über Kirchenkonzerte, Schützenfeste, Unfälle auf Landstraßen, kommunale Abfallwirtschaft, Seidenmalereizirkel, Kegelbahneinweihungen und Richtfeste schreiben. Vielleicht wird er eine seidenmalende, unverheiratete, fahrradfahrende Stadtverordnete kennenlernen und mit ihr ein Verhältnis anfangen. Vielleicht erschlagen ihn ein paar Skinheads nach einem Bierabend in irgendeiner Eckkneipe. Vielleicht fängt er an zu saufen und zu rauchen.
    Mit dem Rauchen schon heute, beschließt er und arbeitet sich in seinen Mantel. Er steigt vorsichtig siebenundvierzig Stufen hinab und geht hinaus. Komm, tobendes Leben, komm, murmelt er. Nimm mich und mach mich groß.
    Mit den Bauarbeiten sind sie fast fertig, morgen wird die Straßenbahn wieder fahren. Hanns setzt einen Fuß vor den anderen und plant sich ein Leben zurecht. Eine kleine Wohnung in einer kleinen Stadt. Zehn Möbelstücke wird er sich kaufen. Mehr nicht. Küchenschrank, Kleiderschrank, Tisch, zwei Stühle, Bett, Sessel, Bücherregal, Schreibtisch, Flurschrank. So vielleicht. Oder anstatt des Flurschranks einen kleinen Tisch, der neben dem Sessel stehen kann. Haken an der Flurwand und eine Gummimatte für die schmutzigen Schuhe. Was macht er mit dem Bad? Einen Spiegel wird er kaufen müssen. Ein Spiegel ist kein Möbelstück, der geht durch als Utensil, Beiwerk, Läpperchen. Hanns lächelt. Zum ersten Mal seit vier Tagen. Vroni wird heute Glück haben, da ist er sich ganz sicher. Sie wird Glück haben, nach Hause kommen, ein paar Delikatessen in der Tasche und eine Flasche Sekt, sie wird sich seiner annehmen. Seiner und seiner Lust. So läuft es |11| zwischen ihnen. Wenn etwas klappt, so wie sie es sich vorstellt, wenn es läuft, wie sie es haben will, hat einer wie er es gut mit ihr. Auch
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher