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Lokale Erschuetterung

Lokale Erschuetterung

Titel: Lokale Erschuetterung
Autoren: Kathrin Gerlof
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zur Allinclusivewoche gehört. Ägypten an einem Tag, hatte Veronika es genannt. Morgens in den Bus. Mit sechs anderen Bussen und militärischem Begleitschutz zu den Gräbern der Könige. Alles so schön buntig hier, wie der hübsche Reiseführer erklärte, was die Touristen frenetisch bestätigten. Danach Alabasterwerkstatt, Papyrusladen, Schmuckwerkstatt, Keramikbude. Egal, wo sie haltmachten und ausstiegen, die Kerle klebten zuerst an Veronika. Ihre blonde, blauäugige, gutaussehende Freundin blieb unbehelligt. Um sie herum leerer Raum. Kein Kerl, der ihr an die Wäsche ging, ihr etwas Schmutziges ins Ohr flüsterte, einen Heiratsantrag machte. In der Alabasterwerkstatt stellte sich Veronika deshalb dicht neben ihre Freundin. Es half nicht. Einer der Verkäufer fasste ihr an den Hintern und zeigte mit der anderen Hand, was er ihr zu verkaufen gedachte. Veronika beobachtete, wie |22| dann doch mal ein anderer Verkäufer Gleiches bei ihrer Freundin versuchte. Die griff mit der rechten Hand kurz dahin, wo man bei dem Kerl in dem weißen Wallegewand die Juwelen der Familie vermuten konnte. Veronika sah das ungläubige Staunen im Gesicht des Mannes, der sich sofort verdrückte.
    Am Abend nach diesem Ausflugstag. Nie wieder in ihrem Leben würde Veronika so etwas über sich ergehen lassen. An dem Abend breitete der kleine hässliche Ägypter seine frisch erworbenen Deutschkenntnisse vor ihnen aus. Ich schließe meine Aug und meine Füße, rezitierte er. Wer diese schönen Zeilen geschrieben habe, fragten sie. Goethe, sagte der kleine hässliche Ägypter und entfernte sich würdevoll. Es mag ihm seltsam vorgekommen sein, dass die beiden deutschen Frauen das berühmte Gedicht von diesem berühmten Dichter nicht kannten. An diesem Abend fragte sie ihre Freundin. Woran es wohl läge, dass jeder Kerl hier sofort vermute, wenn er ihrer angesichtig werde, sie sei zu haben und willig obendrein. Es liegt an deinem Lächeln, hatte die Freundin gesagt. Dein Lächeln lädt alle Kerle ein, es bei dir zu versuchen. Du bist ein einziges großes Versprechen.
    Du lächelst auch, hatte Veronika gesagt.
    Ich lächle anders. Unverbindlich. Wenn ich mich abschotten will. Ich gucke durch die Leute durch. Das merken die Kerle. Du lächelst so, dass jeder sofort denkt, er ist gemeint. Du guckst nicht durch, du guckst an. Das ist hier fatal. Schau sie dir an, hatte die Freundin gesagt und war ein wenig lauter geworden. Die Weiber rechts und links an den Tischen. Die sind hergekommen auf der Suche nach einem guten Fick. Die denken, die Eingeborenen hier sind besser im Bett, haben den Größeren, halten länger durch. Die glauben, denen ist es egal, wenn eine alte Schachtel mit schlaffer weißer Haut unter ihnen liegt |23| und stöhnt. Die wollen das so, die sind scharf drauf, die Ägypter. Denken die Frauen. Warum sollten die Typen bei dir was anderes vermuten, wenn du sie anlächelst, als meintest du wirklich sie persönlich?
    Danach hatte Veronika das unverbindliche Lächeln trainiert. Und sie hat es gelernt. Der Mann mit der Zeitung und den alten Händen schaut sie nicht mehr an.
    Sie nimmt den Brief aus der Tasche und öffnet ihn mit dem Kaffeelöffel. Ein Blatt Papier steckt in dem Umschlag. Eng beschrieben.
    Ich hoffe, Veronika, du hast den Job bekommen, steht da. Das Geld kannst du ja gut gebrauchen. Und mir hülfe es auch. Aber mir wirst du dein Geld nicht geben. Obwohl ich es verdient hätte. Glaub mir, Veronika, ich könnte es sogar sehr gut gebrauchen. Wenn du heute Abend nach Hause kommst, wird Hanns auf dich warten. Sehnsüchtig. Ich warte auch manchmal. Sehnsüchtig. Auf dich. Veronika. Oder auf das, was ich von dir haben will. Jetzt wirst du dich fragen, was ich von dir haben möchte. Oder wahrscheinlich fragst du dich, wer ich überhaupt bin, dass ich etwas von dir haben möchte. Veronika. Es tut ganz und gar nichts zur Sache, wer ich bin. Wichtig ist nur, wer ich hätte sein können. Das wirst du mir eines Tages erklären müssen. Wer ich hätte sein können. Angst musst du nicht haben. Ich ängstige mich genug für uns beide. Mach’s gut, Veronika.
    Ich.
    Auf dem Briefumschlag ist keine Briefmarke. Also waren diese Zeilen nicht mit der Post gekommen. Veronika wendet das Blatt, schaut in den Umschlag, bemüht sich, irgendetwas zu ahnen, zu erkennen. Wer zeigt sich ihr da? Ich. Veronika winkt die Kellnerin heran und bestellt noch ein Glas Sekt. Der junge alte Mann am Nachbartisch zahlt und geht. Sie bleibt sitzen. Eine
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