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Lokale Erschuetterung

Lokale Erschuetterung

Titel: Lokale Erschuetterung
Autoren: Kathrin Gerlof
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eigentlich hin? Er hat es vergessen. |29| Nicht zugehört beim Frühstück. Das wird sich ändern, wenn er nur noch zu Besuch hier ist. Heute Morgen wollte er eigentlich noch einmal über die Kleinstadt reden. Ob man da nicht hinziehen könne, wenn er den Job bekommt. Veronika hat ihn mit diesem Blick angeschaut. Hakenkreuze in den Augen.
Hitler in my heart
, summt Hanns vor sich hin. Diesen Song kriegt er seit Tagen nicht aus dem Schädel. Gesungen von so einem nachgemachten Eunuchen. Aber nicht schlecht. Gar nicht schlecht. Hitler in my heart, wenn das mal nicht auf mich zutrifft. Hanns nimmt einen schwarzen Fineliner und schreibt Hass auf seine Fingerknöchel. Dann geht er ins Bad und schrubbt sich die schwarzen Buchstaben wieder ab.
    Nächste Woche beginnt ein neues Leben. Die Wut wird verfliegen und Platz machen für anderes.
    Vor zwei Jahren ist er einmal mit Veronika zu einer Paartherapeutin gegangen. Vroni wollte das so. Sie hatte darauf beharrt und seinen Widerstand gebrochen. Durch Verweigerung. Die uralte Masche der Frauen. Sie lassen ihren Hintern kalt werden, aber zeigen ihn her. Er war mitgegangen und hatte sich angehört, was die Therapeutin zu ihm und Vroni zu sagen wusste. Es hatte nicht geholfen. Ihm nicht und Veronika ebenso wenig. Das Schöne an der Geschichte war der Abend nach dem Therapeutinnengespräch. Wie sie beide am Tisch gesessen haben. Eine große Lauchtorte in der Mitte, Weißwein in den Gläsern. Und dann hatte Vroni beim Aufschneiden der Lauchtorte geflüstert: Sie müssen Platz machen für konstruktives Denken.
    Sie müssen lernen, sich wieder gegenseitig zu überraschen, hatte er zurückgeflüstert. Sie müssen miteinander reden, hauchte Vroni. Sie müssen sich über ihre Gefühle klarwerden, stammelte er. Und dann konnten sie beide lachen. Es war eine Befreiung. Sie haben gelacht und sind lachend ins Bett gegangen, um zu vögeln. Es ging. Es ging |30| wirklich. Die Lauchtorte haben sie dann später kalt gegessen und zwei Flaschen Wein getrunken. Das war der Abend aller Abende. Der schönste von allen. Unwiederholbar. Wenn die Paartherapeutin wüsste, was sie da für einen Erfolg erzielt hatte. An dem Abend waren sie beide, Vroni und er, davon überzeugt, dass alles wieder werden würde, wie es einmal gewesen war. Wie es war, als wir uns noch Höhlen gebaut haben, denkt Hanns. Höhlen bauen war der Anfang von allem.
    Veronika hatte mit einer Freundin im Studentenwohnheim auf der Treppe gesessen. Die Mädels aus den Viererzimmern saßen immer auf der Treppe. Entweder weil eine im Zimmer gerade mit ihrem Typen zugange war, oder weil man einfach nicht mit vier Menschen, zwei Doppelstockbetten, vier Schreibtischen und vier Spinden in einem Zimmer sein wollte. Dagegen waren die Treppenhäuser des Wohnheims ein Ort der Ruhe. Veronika hatte also mit einer anderen Kommilitonin aus ihrer Seminargruppe auf der Treppe gesessen und Obstwein aus der Flasche getrunken. Hanns kannte beide nur flüchtig. Vom Sehen. Die unteren Studienjahre waren eher nicht von Interesse. Auch die Mädels nicht. Aber an dem Abend hatte Veronika gelächelt und mit der Obstweinflasche in seine Richtung gezeigt. Willst du, hatte sie gefragt und ihm die Buddel hingehalten. Zwei Stunden später war die Freundin dann endlich gegangen. Veronika hatte eine Wolldecke aus ihrem Zimmer geholt, und mit der bauten sie sich eine Höhle. Hatten die Decke über ihre Köpfe gelegt und sich darunter versteckt. Das ganze Begehren unter einer Decke. Sie hatten aneinander rumgefummelt, als seien sie vierzehn und wüssten nicht, wie es geht. Oder wüssten es doch. Veronika brachte ihm mit ihren kleinen scharfen Zähnen eine beachtliche Wunde an der Schulter bei. Nur, um nicht laut zu stöhnen, hatte sie ihn gebissen. Später hatte sich die |31| Wunde entzündet. Menschenbisse seien die gefährlichsten von allen, hatte der Arzt Hanns erklärt und dabei gegrinst. Aber solange es nicht ans Eingemachte geht.
    Hanns steht vor dem Kleiderschrank, denkt an den ersten Sex mit Veronika und zählt seine Hemden und Pullover. Er sollte sich für die Kleinstadt ein neues Outfit zulegen. Mehr Pullover, weniger Hemden und eine bequeme, etwas abgetragene Wildlederjacke vielleicht. Die wird er sich jetzt kaufen gehen. In einem Secondhandladen. Eine hellbraune, abgetragene Wildlederjacke mit losen Knöpfen und einem leicht speckigen Kragen. Genauso muss sie sein. Und sie wird ihn schützen in der Provinz. Vor allen Ambitionen, die man aus lauter
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