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Lokale Erschuetterung

Lokale Erschuetterung

Titel: Lokale Erschuetterung
Autoren: Kathrin Gerlof
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die in die engere Wahl kommen. Veronika verlässt plötzlich der Mut. Sie fragt die Verkäuferin, ob die ihr raten kann. Die junge Frau steht auf und läuft mit ihr eine Runde durch den Raum. Sie zieht aus einer Hosentasche eine Schachtel Zigaretten. Geben Sie mir auch eine, bittet Veronika und denkt an Hanns, der nun plötzlich wieder angefangen hat zu rauchen.
    Schweigend rauchen sie beide ihre Zigarette. Die junge Frau zeigt mit dem Glimmstengel auf eine Tapetenrolle und sagt: Die da finde ich am schönsten. Was haben Sie denn für Möbel?
    |35| Veronika überlegt und wird ein wenig hektisch, weil sie sich im Moment an nicht ein einziges Möbelstück in ihrer Wohnung erinnern kann. Aber dann. Die Couch im Wohnzimmer hat tatsächlich den gleichen Farbton wie das Tapetenmuster, dem die Verkäuferin die besten Chancen einräumt. Blasslila, orchideenlila, morgenmantellila. Veronika sieht sich in ihrem seidenen Morgenmantel, den sie tatsächlich passend zur Couch gekauft hatte, vor dieser Tapete sitzen. Und fängt an zu lachen. Die Verkäuferin setzt sich wieder an den weißen Schreibtisch und sieht von dort Veronika beim Lachen zu.
    Das ist gut, sagt Veronika und holt ihre Geldbörse aus der Tasche. Ich nehme fünfzehn Rollen.
    Die muss ich erst bestellen, sind aber übermorgen da. Die Verkäuferin grinst und nimmt einen Taschenrechner.
    Können Sie mir ein Stück mitgeben? Zum Anschauen für meinen Mann. Damit der weiß, was ihn erwartet.
    Die Verkäuferin holt eine lange Schere aus der Schreibtischschublade und geht zur auserwählten Rolle. Sie schneidet einen zwanzig Zentimeter breiten Streifen ab und rollt ihn für Veronika zusammen. Die Tapete kostet sechshundert Euro. Das geht ja noch, denkt Veronika. Sechshundert für eine Tapete, die aussieht wie mein Morgenmantel. Wenn Hanns Lokalredakteur in der Provinz geworden ist, kann ich mir einen fremden Mann einladen, dem das bestimmt gefallen wird.
    Veronika läuft den weiten Weg nach Hause. Sie schmeckt die erste Zigarette ihres Lebens und stellt erst jetzt fest, dass sie nicht einmal gehustet hat beim Rauchen. Ich bin die geborene Raucherin, denkt sie. Noch so ein Brief, und ich fange an zu kiffen.
    Im Hausflur kommt ihr die Sektentante entgegen, die aus der zweiten. Die sieht aus, als hätte sie ihre Wundersteine verschluckt. Denkt Veronika. Ihr kommen beim |36| Anblick dieser Frau immer die schlechtesten Gedanken. Wie kann man nur dieses Zeug vertreiben. Veronika quengelt einen Gruß durch geschlossene Lippen. Irgendwann wird sie vielleicht mal aufhören, höflich zu sein, wenn ihr nach anderem ist.
    Wenn ich morgen wieder so einen Brief bekomme, gehe ich zur Polizei. Veronika läuft nach Hause, ihrem Mann die frohe Tapetenbotschaft zu verkünden.

|37| 4. Kapitel
    Hanns steht zum ersten Mal in seinem Leben in einem Secondhandladen. Es riecht nach einem alten scharfen Waschmittel. Der Geruch kommt ihm mehr als bekannt vor. Im Kleiderschrank seiner Großmutter hat es so gerochen. Und die Hände seiner Großmutter haben ausgesehen, wie es im Kleiderschrank gerochen hat. Schiefes Bild, murmelt Hanns. Kann man nicht so schreiben. Die Hände seiner Großmutter fühlten sich wie ein fein strukturiertes Reibeisen an. Eine Muskatreibe vielleicht. Er hatte es gemocht, sich von diesen Händen streicheln zu lassen. Vor allem auf dem Rücken, wenn er mit nacktem Oberkörper vom Spielen nach Hause kam. Hast du wieder die Welt gerettet, hatte die Großmutter dann jedes Mal gefragt und ihn mit ihren Reibeisenhänden gestreichelt. Hatte er. Bis vor fünfzehn Jahren hat er immer die Welt gerettet. Dann hat die Welt eine Wende gemacht und ist ihm in die Parade gefahren.
    Zwischen den riesigen Kleiderständern im Secondhandladen, auf denen die Sachen nach Farben sortiert sind, bewegt sich eine Frau hin und her. Was für ein verhuschtes Wesen, denkt Hanns und bleibt hinter einem Drehständer stehen, um es zu beobachten.
    Das Wesen befühlt und betatscht Röcke, Hosen und Pullover. Manchmal zieht es ein Kleidungsstück vom Bügel und hält es sich an den Bauch. Immer an den Bauch, egal, ob es ein Rock, eine Hose oder ein Pullover ist. Als diente ihm der Bauch zum Testen der Qualität. Dann |38| schiebt es sich irgendetwas Mausgraues unter den Pullover.
    Deshalb also an den Bauch, denkt Hanns. Das Wesen hat nur einen kleinen Diebstahl vorbereitet. Er bleibt stehen, wo er ist, und beobachtet die junge Frau. Die wirft ihm einen Blick zu und greift mit der rechten Hand unter ihren
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