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Lokale Erschuetterung

Lokale Erschuetterung

Titel: Lokale Erschuetterung
Autoren: Kathrin Gerlof
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ein Geldstück zu.
    Aber als ich noch gelogen habe war ich glücklich, denkt Hanns. Und wahrlich, es hatte ihm nicht viel ausgemacht. Zuerst war es eine Sache des Glaubens an die gute Sache gewesen und dann ein Gefühl der Macht über andere Menschen.
    Hanns steigt in die Tram und löst eine Tageskarte. Welche Linie ist das überhaupt? Er hat vergessen nachzusehen. Sie fährt durch eine Allee, in der schon lange keine Bäume mehr stehen. Dafür ist sie lang und endet vermutlich erst in Polen. Er ist letztens mit Vroni diese Allee bis zum Ende gefahren, und vom Ende aus war es nicht mehr weit bis in den Oderbruch, und da ist man ja schon fast drüben.
    Sie haben das Auto kurz vor den Deichen stehenlassen und sind ans Flussufer spaziert. Auf der anderen Seite saß |14| ein Angler und hat gewinkt. Mit seiner Angel, an der nichts hing, außer vielleicht ein Haken. Das konnte man nicht sehen. Zu der Zeit war Polen noch verloren und gehörte nicht zu Europa. Nicht wirklich jedenfalls. Aber angekündigt waren sie. Die Polen.
    Es war ein schöner Moment da an der Flussgrenze. Vroni hat seine Hand genommen und sich an ihn gelehnt. Wir kaufen uns ein Haus im Oderbruch, hat sie gesagt. Eine alte zerfallene Hütte. Die lassen wir gegen Hochwasser versichern, und dann stauen wir die Oder. Gleich hinter der nächsten Biegung. Die Oder verschlingt unser Haus, wir bekommen Geld und müssen nie wieder arbeiten.
    Nie wieder arbeiten müssen, das war so ein Satz. Den sie häufig sagt. Wenn ich nicht mehr arbeiten muss, Hanns, beginnt die arschlochlose Zeit. So drastisch redet sie sonst nicht. Arschloch ist für Veronika schon heftig. Sie denkt es normalerweise nicht mal. Das weiß er. Sie ist verklemmt. Ein bisschen jedenfalls. Undrastisch. Voller Angst, dass Dinge und Angelegenheiten, die ausgesprochen sind, wahr werden.
    Hinter den ersten großen Wohnblocks wechselt in der Straßenbahn das Publikum. Man kann die Angst geradezu riechen. Und die Resignation. Glatzköpfige junge Männer. Einer setzt sich neben Hanns und duftet nach Hugo Boss. Das ist verwirrend. Diese Klamotten, die Tätowierung auf einem Unterarm, der wie aufgepumpt wirkt, die winzigen blauen Buchstaben auf den Fingerknöcheln und dieser Duft. Das hat Boss bestimmt nicht gewollt, denkt Hanns.
    Obwohl Boss und Hass nun wirklich zwei zueinanderpassende Wörter sind. Wie zwei alte Latschen. Hassss, denkt Hanns und schaut sich den Glatzkopf noch einmal genauer an. Der wendet seinen haarlosen Schädel, und |15| schon ist Augenkontakt hergestellt. Ist was, flüstert der Glatzkopf und lächelt. Das passt jetzt auch nicht. Boss und Hass und istwas und lächeln. Hanns versucht, harmlos auszusehen, überrascht. Mit mir nicht, sagt er und müht sich, den Blick zu halten. Der Glatzkopf pikst mit dem Zeigefinger auf Hanns’ Oberschenkel. Dann ist ja gut, wenn nichts ist.
    Wirklich, denkt Hanns, wenn Veronika mit mir gevögelt hätte, säße ich jetzt nicht hier, neben Hass und Boss. Der Glatzkopf steigt aus. Boss bleibt drin, noch zwei Stationen lang. Hanns überlegt, ob er sich das Wässerchen kauft. Bei so einer Basisnote käme das sicher gut auf seinem Körper. Ich rieche ja nach Weiberkram, denkt Hanns. Nach Veronikas Weiberkram, blumig und orange.
    Die Straßenbahn endet tatsächlich im Nirgendwo. Zwischen gewaltigen Plattenbauten, mitten im Grünen. Nicht mal einen Supermarkt gibt es hier, nur einen kleinen asiatischen Imbiss, direkt an der Endhaltestelle. Hanns schlendert unschlüssig auf die Blechbude zu. In der hantiert ein kleiner Vietnamese. Den nennen sie hier bestimmt alle nur den Fidschi, denkt Hanns. Ich geh mal schnell zum Fidschi, was zum Futtern kaufen. Oder so. Hanns kauft ein Bier und eine kleine Flasche Korn. Es ist halb elf am Vormittag. Der Vietnamese stellt Büchse und Flasche auf den winzigen Tresen, der ihn von der Plattenwelt trennt. Er hat kein blaues Auge und keine Narben im Gesicht. Die Glatzen arbeiten sich an dem hier offensichtlich nicht ab. Hanns gibt zwanzig Cent Trinkgeld und setzt sich mit dem Bier und dem Korn auf eine Bank, die mitten in der Pampa steht. Er sitzt mit dem Gesicht zur Straße, und hinter ihm türmt sich ein Elfgeschosser auf. Das Bier ist kalt, der Schnaps nicht. Beides schmeckt widerlich. Hanns geht noch einmal zurück zum Vietnamesen und kauft zwei Frühlingsröllchen. Er hätte jetzt gern gehört, ob der Fidschi Flühlingslöllchen |16| sagt. Wie man das halt so denkt. Aber der sagt gar nichts. Schiebt einfach nur das Essen
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