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Lokale Erschuetterung

Lokale Erschuetterung

Titel: Lokale Erschuetterung
Autoren: Kathrin Gerlof
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Leistungsgesellschaft leben.
    Warum habe ich den Kerl eigentlich nicht gefragt, was er denn glaubt, wofür wir auf der Welt sind? Hanns denkt ernsthaft über diese Frage nach und guckt sich im Ratskeller um. Manchmal sitzt dieser Geschäftsführer hier und redet mit anderen Geschäftsführern über Geschäfte. Führt meist das große Wort und lässt die anderen ein bisschen für sich tanzen. Ist ja auch der größte Produktionsbetrieb hier am Ort. Nicht unbedingt die meisten Angestellten, aber den größten Umsatz. Und nur das zählt.
    Daniel winkt der Kellnerin wegen der Rechnung. Alles zusammen, sagt er auf ihre Nachfrage und wischt Hanns’ Protest beiseite. Ich lad dich ein, Sülze mit Remouladensoße kann ich verkraften.
    Dann gehen sie. Zum Sommerfest der Volksmusik. Daniel ist begeistert. Wahrscheinlich hält er das für Folklore, denkt Hanns und findet die Begeisterung albern. Ganz sicher hat er das alles schon viel zu oft gesehen in seiner noch gar nicht so langen Zeit hier in Frankenburg.
    Katja Schwenker sitzt an ihrem Stand zwischen all den anderen, die ihr Handwerk als Kunst verkaufen oder ihre Kunst als Handwerk. Sie lächelt, als Hanns mit Daniel kommt, und sagt: Sie waren doch schon einmal hier?
    Daniel nickt. Gutes Gedächtnis, ist schon eine Weile her. Damals habe ich meinen Freund hier begleitet. Der wollte seinen neuen Arbeitsplatz kennenlernen.
    Laufen die Geschäfte, fragt Hanns und kommt sich dämlich vor, der Frau, mit der er gestern Nacht noch in der Kiste gelegen hat, eine solche Plattitüde rüberzureichen. Aber er will auch deutlich machen, dass gestern Nacht vorbei ist. Nicht vergessen, aber vorbei. Keine Chance auf Wiederholung. Das soll die Schwenker begreifen. |315| Und das begreift sie auch. Sie schaut Hanns nur einen kurzen Moment in die Augen, zieht die vollen Lippen für zwei oder drei Sekunden zwischen die Zähne. Das sieht aus, als wollte sie gleich anfangen zu heulen. Dann pustet sie ihre Lippen wieder weich und rund, setzt ein unverbindliches Lächeln auf und nickt.
    Sie wissen ja, dass diese Veranstaltungen immer gut für solche wie uns sind. Den Leuten sitzt das Geld ein bisschen lockerer, wenn sie mit Märschen und flotten Sprüchen abgefüllt werden.
    Sie also. So distanziert wollte Hanns es auch nicht haben, aber vielleicht tut Katja Schwenker gut daran, ihn nun wie einen flüchtigen Bekannten zu behandeln.
    Ich kaufe nachher noch die Lavendelcreme. Für meine Frau.
    Hanns spürt, dass es ihm Spaß macht, die Marktfrau zu verletzen. Die gestern noch unter ihm gejammert und gestöhnt hat, das üppig wogende Fleisch ein einziges Begehren. Jetzt hockt sie vor ihm in ihren wallenden Leinenhüllen, und er kann sie verletzen, ohne sie bloßzustellen. Niemand außer ihnen beiden weiß, dass sie noch vor wenigen Stunden ineinandergesteckt haben. Ohne aufzupassen, denkt Hanns plötzlich. Wir haben gevögelt, ohne aufzupassen. Was, wenn ihr Schoß nun fruchtbar ist?
    Als wisse sie, was in seinem Kopf vor sich geht, lächelt Katja Schwenker. Ein seliges Madonnenlächeln der befleckten Empfängnis lächelt sie. Hanns ist sich plötzlich sicher, dass die Naturkosmetiktante ihn einfach nur benutzt hat in der vergangenen Nacht. Als Samenspender für ihr Begehren. Dieses Miststück will ein Kind und keinen Kerl, denkt Hanns. Sie hatte es gar nicht auf mich abgesehen. Wollte nur den süßen Brei, der ihr ein Balg beschert. Und er war der Einzige, mit dem sie es machen konnte. Wer vögelt denn sonst noch mit so einem Kaliber. Nur er kommt auf |316| die Idee, es dem Walross zu besorgen. Nur er ist so dumm und so dämlich.
    Hanns starrt auf Katja Schwenker, die ihn anlächelt, und verspürt eine üble Lust, ihr das runde hübsche Gesicht zu polieren. Er fährt sich mit der Hand durchs Haar und krallt sich darin fest, als könne er für nichts mehr die Verantwortung übernehmen. Sein Blickfeld engt sich ein wenig ein, und plötzlich kann er die Marktfrau riechen. Sie riecht wie eine Mutterkuh, denkt er und reißt sich mit der Hand ein kleines Haarbüschel aus, das er achtlos auf den Boden fallen lässt. Neben ihm steht Daniel und sagt, man könne doch weitergehen und nachher noch einmal wiederkommen. Daniel fasst Hanns am Arm und schiebt ihn sanft in Richtung Bühne. Gleich geht’s los, sagt er und schiebt weiter. Ich habe gelesen, hier singt heute Abend ein junger Mann, der als neuer Stern am Schlagerhimmel gefeiert wird. Kevin Pohl heißt er. Den dürfen wir nicht verpassen.
    Kevin Pohl,
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