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Lohn des Todes

Titel: Lohn des Todes
Autoren: Ulrike Renk
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verspürte wieder den Druck auf der Blase, fühlte mich hilflos. Er schnippte den Zigarettenstummel achtlos zur Seite. Ich atmete
     hörbar aus. Sein Blick traf meinen.
    »Angst?«, fragte er mich und lachte leise.
    »Ich habe Ihnen nichts getan.«
    »Ich heiße Björn. Björn.« Er zog den Namen lang. »Klingt wie ein Frosch, auf den man tritt. Meine Mutter hat mich so genannt.
     Möge sie in der Hölle schmoren.« Sein Gesicht verzog sich zu einer Fratze. »Steh auf!«
    »Was machen wir jetzt?« Erstes Gebot für Geiseln war, die Täter in ein Gespräch vertiefen, Empathie herstellen. Empathie,
     das Gefühl, das er nicht kannte. Es war vermutlich zwecklos. Ich versuchte es trotzdem.
    |265| »Ich bring dich zurück«, sagte er und steckte die Pistole wieder ein.
    »Zurück?«
    »Zu den Schutzengeln.« Björn lachte hämisch. »Nun komm schon, steh auf!«
    Mühsam kämpfte ich mich aus dem durchhängenden Polster hoch. Meine Hände waren immer noch hinter dem Rücken gefesselt. Inzwischen
     kribbelten meine Finger und die Unterarme.
    »Wohin?«
    »Nach draußen. Ich kenne die Umgebung wie kein anderer. Im Haus ist er nicht, er wäre schon längst aufgetaucht. Also ist er
     draußen. Ich habe den Heimvorteil, aber leichter ist es ohne dich. Du bist mir auch noch zu lebhaft.« Er packte mich wieder
     bei den Haaren, drehte mich mit dem Rücken zu ihm. »Mein Messer ist verdammt scharf.« Er ritzte leicht über meine Rippen,
     durchtrennte Pullover und T-Shirt ohne Probleme, fuhr in die Haut. Nur leicht und doch spürte ich das Blut warm an mir herunterrinnen.
     Die Wunde brannte nur wenig. Dann spürte ich das Messer wieder an meiner Kehle.
    »Lieber Gott«, entfuhr mir.
    »Du glaubst an Gott?«
    »Manchmal ist es eine tröstliche Alternative.«
    »Wirst du in den Himmel kommen?« Er wartete nicht auf meine Antwort, stieß sein Knie in mein Gesäß, zwang mich vorwärtszugehen.
    Die Tür stand immer noch halb offen. Wir traten in den Gang, blieben stehen, lauschten. Nachtvögel schrien, es raschelte grunzend
     im Gebüsch. Ein Igel, dachte ich und versuchte, nicht an das zu denken, was folgen mochte.
    Langsam zwang er mich vorwärts, Schritt für Schritt. Wir näherten uns dem Ende des Ganges, die Luft war hier deutlich kühler
     als drinnen, aber auch frischer, nicht so durchsetzt von grauenvollen Gerüchen nach Tod. Ich atmete tief ein. Es roch nach
     Tannen, Lärchen, Holunder, nach frischem Gras und dem ersten Flieder. Gerüche, die süchtig machten nach Leben. |266| Doch wir befanden uns im luftleeren Raum zwischen Leben und Tod.
    »Geh weiter!«
    Ich ging. Fuß vor Fuß, Schritt für Schritt. War es so, damals, als die Menschen zum Schafott geführt wurden? Hatten sie sich
     so gefühlt? Ich suchte nach einem Gebet, fand keines. Das Vaterunser war zu profan. Der Psalm einundneunzig fiel mir ein.
     »Es wird dir kein Übel begegnen und keine Plage wird sich deiner Hütte nahen, denn er hat seinen Engeln befohlen über dir,
     dass sie dich behüten, auf allen deinen Wegen.« Das konnte nicht für mich gelten. Das Übel war mir begegnete, es schritt gerade
     hinter mir und drückte mir ein Messer an meinen Hals. »O Gott, warum hast du mich verlassen?« Als ich das dachte, sah ich
     eine flüchtige Bewegung in den Augenwinkeln. Es war mehr als der Abendwind, der durch das Unterholz strich, doch weniger als
     eine wirkliche Gestalt.
    Ich ging weiter, hoffte, dass Langenfeld meine Unsicherheit nicht bemerkt hatte. Robert, dachte ich, Robert, bitte, rette
     mich! Ich hatte keine Vorstellung davon, wie er das schaffen könnte. Das Messer des Täters lag dicht an meinem Hals, er war
     mir so nahe, dass ich jeden seiner Muskel zucken spüren konnte.
    Wir näherten uns dem Ende des Ganges. Dahinter führten die Stufen nach oben auf die Wiese. Und von da aus war es nicht weit
     zu dem Pfad, der uns zu der Kapelle bringen würde.
    Langenfeld hielt mich zurück. »Warte!«
    Hatte er etwas gehört? Gesehen? Ich hielt den Atem an, wagte nicht zu hoffen. War dort im Dunkeln die Rettung oder das Verhängnis?
     Es raschelte im Gebüsch.
    »Scheiß Viechszeug. Weiter!« Der Stoß in meinem Rücken traf mich unerwartet schmerzhaft. Auch Langenfeld war angespannt, mehr
     noch als zuvor.
    Rechts von uns am Ende des Ganges lag die kleine Steintreppe, die auf die Wiese führte.
    »Los!« Er stieß mich an.
    Ich stieg die erste Stufe empor.
    |267| »Halt. Keine Bewegung!« Es war Roberts Stimme. Sie klang kühl und sachlich und kam
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