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Lohn des Todes

Titel: Lohn des Todes
Autoren: Ulrike Renk
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Klinik gebracht, Charlie scheint verliebt zu sein und nervt alle. Er ist
     soweit fit und kann entlassen werden. Braucht aber noch Ruhe.«
    »Dem Himmel sei Dank. Und sonst? Was ist mit Kluge?«
    Martin verschränkte die Hände, senkte den Blick. »Er ist gestern verstorben. Zweimal war er noch bei Bewusstsein und konnte
     aussagen.«
    »Hat er etwas zu früher gesagt? Er hat wirklich Kinder missbraucht?«
    »Ja.«
    »Sonja auch?« Ich schöpfte nach Luft.
    »Nein, sie nicht.« Immer noch sah Martin mich nicht an.
    »Und Langenfeld?«
    »Ist geständig. Alles passt. Du hattest in vielen Dingen recht. Die Fünfmarkstücke waren ein Symbol. Es war Rache, keine Sammelleidenschaft.«
    »Es wird ein Gutachten geben, und er wird schuldunfähig sein.«
    »Vermutlich.«
    »Er wird lebenslang betreut werden müssen. Was für ein Schicksal! In seiner Kindheit wurde er missbraucht, scheußlich misshandelt.
     Er rächt sich, völlig von Sinnen, kann Gut von Böse nicht unterscheiden, weil es ihm nie beigebracht wurde. Er ist ein Opfer
     und wurde zum Täter.«
    »Ja.« Martin schaute immer noch auf seine Hände.
    »Er tut mir leid.«
    »Wirklich?« Nun sah er mich an. »Ehrlich? Nach all dem, was du weißt? Nach all dem, was er dir angetan hat? Nach den Stunden,
     die du in der Kapelle verbracht hast?«
    |275| Diese Zeit zu Protokoll zu geben war mir schwergefallen, das Entsetzen war zu groß.
    »Ja«, sagte ich trotzdem. »Er war mehr Opfer als Täter. Oder beides. Ich weiß nicht. Geht es Charlie wirklich gut?«
    »Ein Themenwechsel?« Endlich sah er mich an, lächelte. »Charlie geht es gut. Ehrlich.«
    »Ich möchte nach Hause. Ich möchte nach Hechelscheid, auf die Couch vor den prasselnden Kamin, eine Flasche Wein, den Hund
     zu Füßen und Pizza vom Bringdienst. Ich bin es hier so leid. Eine Woche Krankenhaus ist mehr, als genug für mich ist.«
    »Das weiß ich.«
    Ich fasste meinen Mut zusammen. »Diesmal ist es anders. Ich bin nicht traumatisiert. Es war sicherlich schrecklich, aber ich
     bin nicht so Opfer geworden wie im letzten Herbst. Mir geht es wirklich gut.«
    Martin sah mich nachdenklich an.
    »Ich weiß, dass es nicht leicht ist mit mir.« Ich schloss die Augen. »Ich werde mir jedoch Mühe geben.«
    »Mit mir ist es auch nicht einfach, ich habe viele Fehler gemacht, Conny, dich sehr verletzt. Das war nicht fair.«
    »Nein, das war es nicht.«
    »Ich weiß nicht, wie es werden soll, was werden soll. Ich habe Angst vor der Zukunft, vor weiteren Fehlern. Ich wollte dich
     nie verletzen, habe es aber getan.«
    »Du bist ein Mensch. Fehler zu machen steht dir zu. Genauso wie mir. Es wäre viel einfacher, wenn man wirklich einen Schlussstrich
     ziehen, alles vergessen und ganz neu anfangen könnte. Aber das ist uns leider nicht gegeben. Es gibt keine Taste mit Löschfunktion
     und Neustart.« Vorsichtig wagte ich einen Blick in seine Richtung, er lächelte zaghaft.
    »Nein, es gibt keine Löschtaste. Das ist auch gut so, denn dann würden auch all diese wunderbaren Erinnerungen verloren gehen.«
    »Die Erinnerungen an Maria?« Ich konnte die Frage nicht verkneifen, biss mir aber auf die Lippe, bis es wehtat.
    |276| Martin wurde rot. »Das war gemein«, sagte er leise. »Aber vermutlich gerechtfertigt. Maria ist Geschichte. Es war ein Fehler
     von mir, den ich sehr bereue. Aber Maria hat nichts mit unseren Problemen zu tun. Sie konnte nur deshalb an mich heran, weil
     die Beziehung zu dir seit geraumer Zeit sehr fragil ist. Ich will mich hier nicht entschuldigen, Conny, aber wir haben ganz
     andere Probleme als Maria.«
    Ich dachte einen Moment über seine Worte nach. »Ja, und was machen wir nun?«
    »Du stehst auf, wir packen deine Sachen, holen den Hund und fahren nach Hechelscheid. Hier ist deine Entlassung und der Arztbrief.«
     Er zog die Formulare aus der Tasche. »Ich habe Urlaub genommen. Wir können die Zeit nutzen, wieder zueinanderzufinden oder
     auch um festzustellen, dass es nicht mehr funktioniert. Das Ende ist noch offen, aber wenn wir uns nicht daran wagen, werden
     wir uns weiterhin im Kreis drehen. Was hältst du davon?« Unsicher sah er mich an.
    »Du hast dir eine Woche Urlaub genommen? Wirklich? Keine Rufbereitschaft?«
    »Nein, für Maria – verzeih, wenn ich sie noch mal erwähne – ist es die Feuerprobe. Sie hat sich auf eine Stelle in Duisburg
     beworben. Dort muss sie auch alleine klarkommen.«
    »Das ist eine wunderbare Entscheidung von ihr. Lass uns meine Sachen packen.«

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