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Lohn des Todes

Titel: Lohn des Todes
Autoren: Ulrike Renk
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bekommen.
    Langenfeld schloss das Tor auf, beugte sich über mich.
    »Wo ist er?«, zischte er.
    Ich schüttelte den Kopf, wusste nicht, was er meinte.
    »Der Psychoheini, wo ist er? Im Haus ist er nicht.«
    Mit einer raschen Bewegung zog er mir das Gewebeband vom Mund. Ich hatte das Gefühl, er hätte mir die Lippen mit abgerissen,
     und sog die Luft zwischen den Zähnen ein, versuchte gegen den Schmerz anzukämpfen.
    »Einen Laut, einen Ton, und du bist tot.« Langenfeld hielt mir ein großes Messer unter die Nase. Es war blutverkrustet. »Wo
     ist der Kerl hin?«
    »Ich habe keine Ahnung. Er wollte ins Haus«, sagte ich heiser.
    »Dort ist er nicht.« Langenfeld richtete sich auf, starrte in |258| die Dämmerung. »Er ist ein Psychoheini? Er ist nicht bewaffnet?«
    »Nein, er ist nicht bewaffnet.« Ich dachte nach. Einmal hatte ich gesehen, wie Robert ein Schulterholster abgelegt hatte.
     Aber ob er für gewöhnlich eine Waffe trug, wusste ich nicht.
    »Du kommst mit. Du bist meine Lebensversicherung. Wobei ich nicht so sehr am Leben hänge. Doch bevor ich sterbe, stirbst du
     auch.« Wieder beugte er sich über mich, das Messer fuhr an meiner rechten Hand entlang, durchschnitt die Fessel und ritzte
     die Haut, es brannte. Dann folgte die linke Hand, schließlich die Füße. Er packte meine Hände, band sie hinter meinem Rücken
     wieder zusammen, fasste in meine Haare und zog meinen Kopf nach hinten.
    »Eine falsche Bewegung, ein Laut, und du bist tot. Es geht ganz schnell.« Mit dem Knie stieß er in meinen Rücken, zwang mich
     zu gehen. Ich warf einen letzten, verzweifelten Blick auf Charlie, konnte nicht erkennen, ob er noch atmete. Er sah meinen
     Blick, stieß mich nach vorne, hielt mich fest und verschloss das Tor wieder.
    »Dein Köter lebt noch. Er hat Glück gehabt. Ich hatte mich hier hinten verborgen, für den Fall, dass du zuerst zur Kapelle
     gehst. Als zwei Wagen einbogen, war ich schon wütend, als dann aber noch ein Hund aus deiner Karre sprang, hätte ich euch
     alle am liebsten erschossen. Aber hier oben trägt der Schall zu weit.« Er hatte seinen Mund an meinem Ohr, ich konnte seinen
     warmen Atem spüren. Langsam gingen wir um die Kapelle herum, entfernten uns vom Heim und der Straße. »Dann sprang der Köter
     auch noch auf mich zu, blieb hier stehen und bellte. Ich dachte, mich trifft der Schlag. Also habe ich einen Stock genommen
     und ihm auf die Nasenwurzel gehauen. Das wirkt immer. Manchmal ist dann der Schädel zerschmettert, aber das wäre mir auch
     egal gewesen.«
    Er führte mich einen Pfad entlang durch die hohen Bäume hindurch. Der Pfad führte steil nach unten. Da meine Hände hinter
     meinem Rücken gefesselt waren, fiel es mir schwer, das |259| Gleichgewicht zu halten. Ich strauchelte und wäre beinahe gefallen, Langenfeld riss mich mit einem Ruck am meinen Haaren wieder
     hoch. Ein Schmerzenslaut entfuhr mir.
    »Still!« Er bohrte die Messerspitze in meinen Rücken. Ich spürte ein dünnes Rinnsal warmen Blutes. »Ich will nichts hören.
     Keinen Ton!«
    Ich biss mir auf die Lippen, die durch das Tape aufgerissen waren. Langenfeld zwang mich, scharf nach links zu gehen. Brombeerbüsche
     begrenzten den Trampelpfad, rissen an meiner Kleidung. Ich stieß an Wurzeln, spürte Laub und Tannennadeln unter meinen Schuhen.
     Plötzlich sah ich rechts von mir schemenhafte Gebilde – die Tischtennisplatten, die ich vorhin von oben gesehen hatte. Wir
     näherten uns dem Heim. Nach ein paar weiteren Schritten hielt Langenfeld mich zurück. Er spähte über meine Schulter zu dem
     Haus. Die Holunderbüsche bewegten sich sacht in der Abendbrise, es rauschte in den Bäumen. Unten im Tal gingen nach und nach
     die Lichter an. Das Haus lag dunkel vor uns. Es wirkte wie ein großes Tier, das sich in den Hang schmiegte. Nichts rührte
     sich am und im Haus, keine Bewegung war zu erkennen, kein Licht zu sehen.
    Wo war Robert? Was tat er? Hatte er mich im Stich gelassen? Ich merkte, dass ich anfing zu zittern. Entsetzen kroch in mir
     hoch, meine Kehle wurde eng.
    »Weiter!«, flüsterte Langenfeld. Er roch nun deutlich nach Schweiß. Wir erreichten das Haus, wieder hielt er mich zurück,
     wartete, schaute sich um. »Wo ist der verdammte Kerl? Und warum ist er auf einmal verschwunden?«
    Die Messerspitze bohrte sich noch ein Stück tiefer durch meine Haut in meinen Rücken. Ich zog die Luft ein.
    »Wenn du irgendetwas weißt, dann sag es besser jetzt. Es ist quasi deine letzte Chance.« Er
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