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Loewenstern

Loewenstern

Titel: Loewenstern
Autoren: Adolf Muschg
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russischen Hilfsflotte für England in die Nordsee kommandiert, Rikord in das trostlose Archangelsk, den Hafen am Weißen Meer, den die Schweden nicht mehr sperren konnten; das besorgte der endlose Winter ohnehin gründlich genug.
    2 General Lindsay, Hafenkommandant von Portsmouth, hatte
our Russian friends
nach ihrer Ankunft die Schiffe bezeichnet, denen sie zugeteilt wurden
when and if need arises:
bei Rikord war es die
Amazone
, bei Golownin die
City of Paris.
Für den Einwand, sie möchten aber nicht getrennt dienen, hatte er nur eine wegwerfende Handbewegung.
When and if,
wiederholte er behaglich. Wir haben keinen Krieg,
remember.
Sie sind hier, um Englisch zu lernen, sind Sie nicht?
    Das konnten sie schon hinreichend, um auch Schottisch zu verstehen; Lindsay war für die Sparsamkeit seiner Mitteilung bekannt. Natürlich wußte er, daß die «Fortbildung», die man den russischen Freunden in der
Naval Academy
zumutete, ein Zeitvertreib war – um nicht von einem Witz zu reden, auch wenn man zu den Vorstellungen nur
höflich
lachen durfte, welche bärbeißige Originale von einer Akademie hatten, wenn sie sich über Astronomie verbreiteten oder Meeresströmungen, Verhalten bei Schiffbruch oder die sittlichen Gefahren der Südsee. Der Quartiermeister hatte die Freundezuerst in
Boarding houses
untergebracht, dann wurden sie einer Kapitänswitwe zugeteilt, die darauf drängte, von ihrem ersten Russen befreit zu werden. Da es sich um ihren Mitkadetten Fjodor Moor handelte, war Rikord begierig, das Nähere zu erfahren, denn eigentlich war
Herr
Moor – wie er im Ausland angeredet werden wollte – die Korrektheit in Person. Aber er sei
spooky
gewesen
like a ghost
– man konnte das «h» im gefältelten Mund der Matrone förmlich hören.
    Jetzt aber waren es zwei artige junge Männer, welche das ehemalige Kinderzimmer neben ihrem
Master bedroom
bezogen, und es war ihnen rasch gelungen, das umfassende Vertrauen ihrer Wirtin –
call me Sally!
– zu gewinnen, dergestalt, daß diese ihr ungünstiges Bild der Russen nach der andern Seite überzog. Mit solchen Manieren mußten sie Prinzen sein, und bei den fünf Sprachen, die sie beherrschten, Genies! Schließlich pendelte sich ihr Urteil bei
clever boys
ein, und Golownin warnte seinen Freund davor, dies als Kompliment zu betrachten. Jedenfalls setzte Sally Griffith ihren Herren zum allmorgendlichen Porridge die Leibspeise ihres verewigten Gatten vor: geräucherten Weißfisch, der fast nur aus Gräten bestand, und Rikord äußerte
sotto voce
die Vermutung, diese «Nadelkissen mit Fischresten» seien die eigentliche Ursache seines Abgangs gewesen.
    Die Sache mit Moor aber hatte sich verhalten wie folgt:
    Schon bei der Vorstellung war er Mrs. Griffith
particular
erschienen, einerseits überaus beflissen, andererseits zu steif; er konnte ihr auch nie grade in die Augen sehen. Und schon in der zweiten Nacht begann er ein Doppelleben, das sie
positively uncanny
nannte. Sie habe ihm noch einen
Nightcap
gebracht und sich dann nichtsahnend zur Ruhe gelegt, aber kaum war sie eingenickt, als sie hinter der Wand laut sprechen hörte. Erst dachte sie an nächtlichen Besuch, aber den hatte die Hausregel ausdrücklich verboten. Endlich war es still,
zu
still, und nebenan öffnete sich lautlos die Tür. Sally gefror in ihrem Bett. Dann Schritte – wohin gingen sie? Wohl fünf Minuten, die ihr wie eine Ewigkeit vorkamen, hörte sie den Mann durch ihr Haus schleichen wie auf der Suche. Nach ihrem Tafelsilber?Nach ihrer Tugend? Schließlich knarrten Schritte auf der Treppe, die zum Dachboden führte; hier lagerte Sally die Teppiche, die der selige Kapitän aus Indien mitgebracht hatte und mit denen sie einen kleinen Handel betrieb. Jetzt konnte sie noch so atemlos lauschen: es rührte sich nichts mehr. Ein Stoßgebet, und schon hatte sie den Morgenmantel umgeschlagen, war die Treppe hinuntergestürzt, hatte den Nachbarn herausgeklopft und ihm atemlos erklärt, gewiß lege der Russe gerade Feuer unter ihrem Dach oder hänge sich darin auf.
    Doch als sie zu zweit den Dachboden erreichten, was mußten sie sehen? Nichts, einfach gar nichts, auch wenn sie in alle Ecken leuchteten. Schließlich aber fanden sie den Mann zwischen den Teppichen im tiefsten Schlaf und splitternackt.
Stark naked!
Der Nachbar stieß ihn an und mußte ihn richtig schütteln, bis er auffuhr: wo war er denn? Schließlich habe er, schamvoll abgewandt, um Entschuldigung gebeten; es komme vor, daß er im Schlaf wandle, doch
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