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Loewenstern

Loewenstern

Titel: Loewenstern
Autoren: Adolf Muschg
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zugleich in die familiären Hintergründe seiner Seetüchtigkeit; denn eigentlich wäre ein Golownin zum Dienst bei der Leibgarde von Preobraschenski bestimmt gewesen. Aber da hatte eine Hand eingegriffen, und was sie über den jungen Wasja zu Papier brachte, fand Rikord so lehrreich, daß er es insgeheim kopierte. Der kleine Vertrauensbruch war in anderer Hinsicht bedenklich, denn es handelte sich um die Abschrift eines Briefs an die verewigte Kaiserin Katharina, und an seiner Vertraulichkeit war kein Zweifel möglich. Der Verfasser war ein General Maxim Golownin, und die Tonart legte nahe, daß der Schreiber der allerhöchsten Adressatin einst
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gewesen war als ein gehorsamer Diener ihrer Krone. Maxim Golownin war der Patenonkel des verwaisten Wasja, und da er sich um ihn offensichtlich wenig gekümmert hatte, mochte auch das schlechte Gewissen seine Hand geführt haben, in der stillen Zuversicht, daß ihm eine süße Erinnerung der Majestät zu Hilfe kam.
    Gewiß – hat der Brief zu melden –, Gylinki, in der Oblast Rjasan, ist mit dem Tod seines Bruders Michail nicht ganz untergegangen. Der Verwalter säuft, aber sonst ist er verläßlich; die Großtante versieht die Gutsherrschaft für ihren minderjährigen Erben, sein liebes Patenkind, nach ihrem Vermögen. Geizig, wie sie ist, kann sie sein Eigentum nicht verschwenden. Immerhin hielt es Maxim Golownin vor kurzem für seine Pflicht, auf dem Gut nach dem Rechten zu sehen, sich von Wasjas Zukunftsaussichten ein Bild zu machen und sie gegebenenfalls zu befördern.
    Jetzt durfte der alte General seiner geliebten Majestät berichten, der Junge sei der Fuchtel seiner Großtante entwachsen und in bestimmter Hinsicht kaum noch der Nachhilfe bedürftig. Er zeige sich als ein so wohlgeratenes Gottesgeschöpf, daß er Gott ganzgut entbehren könne, auch wenn er die frommen Bräuche seiner Umgebung respektvoll mitmache. Gylinki sei ein verwahrlostes Paradies, in dem der junge Wassili seine ganz eigene Schöpfung einrichte, selbstherrlich, aber durchaus gesellschaftsfähig. Seinen Lehrstoff hole er aus dem Besten, was ihm sein Vater habe hinterlassen können: einer wohlversehenen Bibliothek, wo man ihn nächtelang in naturwissenschaftliche Schriften vertieft finde. Besonders die zur Seefahrt nötige Sachkunde habe er sich im Selbststudium zu eigen gemacht, und am Tage vereinige er seine Dorfjugend dazu, sie anzuwenden. Der Mühlteich hinter dem Herrenhaus werde zum Schauplatz von Seeschlachten, die der junge Stratege nach historischen Mustern stelle. Dafür habe er mit seiner Mannschaft ausgediente Fischkähne wieder flottgemacht und nach allen Regeln der Kunst kalfatert, aufgetakelt und mit selbstgebastelten Mörsern bestückt. Er habe den Schiffen Namen gegeben, sie mit einem kompletten Satz Flaggen ausgerüstet, und ihre Signale müße die Mannschaft lesen können, wie er sie auch ein Logbuch führen lasse. Dabei bemerkten die Kinder nicht einmal, daß sie beiläufig lesen und schreiben lernten. Mit einfachen Mitteln praktiziere man schon eine annehmbare Segelkunst; dabei mache man naturgemäß auch mit Havarien Bekanntschaft. Aber man fürchte sie nicht, da der junge Chef seinen Leuten auch das Schwimmen beigebracht habe, womit sie sich jetzt schon zu ihrem Vorteil von alten Seebären unterschieden.
    Kurzum, seinem lieben Neffen fehle zum Seemann nichts mehr als die See. Er habe ihn nach Moskau mitgenommen, um für städtischen Schliff zu sorgen; inzwischen lasse er sich auch bei französischer Konversation nicht mehr lumpen. Kurzum, er habe einen Gentleman aus ihm gemacht,
acceptable at a dance and invaluable in a shipwreck
. Inzwischen sei er auch fabelhaft groß gewachsen, und sein Auftritt sei so imposant, daß sich seine Kusinen gleich verliebt hätten. Zum Glück sei auf seine Disziplin nicht weniger Verlaß als auf seine Delikatesse. Kurzum: Wenn nicht alles täusche, wachse hier ein Kapitän, wo nicht gar Admiral heran, ein Muster christlicher Seefahrt und eine Zierde der russischen.
    Übrigens sei er über das Studium von Schiffen wie von selbst in dasjenige der schönen Literatur hineingeraten. Es sei ihm aufgegangen, daß man die List des Odysseus nicht bewundern könne, ohne die Kunst Homers zu würdigen. Damit habe er einen großen Schritt zum Verständnis von Kunst überhaupt getan, und auch wenn er den Jungen nicht geradezu musisch nennen würde, so habe er sich mit der nautischen Bildung auch eine für Stil und Geschmack angeeignet.
    Der Brief eines
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