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Loewenstern

Loewenstern

Titel: Loewenstern
Autoren: Adolf Muschg
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jetzt Tage, an denen er es nicht mehr spürt. Er ist in seiner Geschichte gefangen. Für die andern ist er immer noch da, am Rande des Teichs.
    Ermolai, du verkühlst dich!
    Er kommt ja. Die Geschichte kann warten. Wenn er sie hat liegen lassen, empfängt sie ihn oft mit verdächtig offenen Armen, dann weißer: sie hat inzwischen etwas angestellt. Aber er bringt es ihr aus. Sie hat es nicht ihm zuleide getan, sondern für sich, zu ihrem eigenen Vorteil. Er läßt sich wieder auf sie ein, ohne Begleitung als seine gute Pfeife; die Tage vergehen, er mit ihnen, aber davon merkt er gerade nichts.
    Es wird Winter; er sitzt am Kamin.
    Du solltest nicht soviel rauchen.
    Ich schreibe nur noch ein wenig.
    Komme ich darin vor?
    Du doch nicht.
    Versprochen?
    Versprochen.
    Natürlich die Seefahrt. Du hast Heimweh nach Schiffen.
    Das ist vorbei.
    Was schreibst du denn immer?
    Ehrlich, ich weiß es nicht.
    Memoiren?
    So etwas. Mein anders Leben.
    Dann geh ich schon schlafen. Es macht mir übrigens nichts aus, wenn du über mich schreibst. Aber bitte mit Anstand.
    Dann könnte ich das Beste gar nicht schreiben.
    Dann tu’s auch nicht. Du bist kein Schriftsteller, Ermolai. Und ich werde alt.
    Davon merke ich nichts, Minchen. Gute Nacht.
    Oft schrieb er die ganze Nacht, jede Stunde einmal mit schlechtem Gewissen; denn dann kam Kolja, den er nicht schlafen ließ, lautlos herein, um ein neues Birkenscheit nachzulegen. Kolja wollte nicht mit seinem japanischen Namen angesprochen sein. Er erzählte dem Gutsherrn nicht, wie er nach Rußland gekommen war. Er war kein Schiffbrüchiger mehr und betete jeden Tag für Herrn und Frau Löwenstern; seine Kammer war ein kleines Gotteshaus. Ob er darin auch für seine Ahnen betete, sagte er nicht. Er war ein frommer Christ geworden und hatte eine Russin geheiratet, Ilona, und Löwenstern war der Pate des vierten Sohns.
    Er schrieb im Licht des Kaminfeuers, über das Taschenbuch gebeugt, das auf seinen Knien lag; es kam vor, daß er zu rauchen vergaß. Aber immer wieder richtete er sich auf, um mit einem Schluck Bordeaux – bei sich nannte er ihn immer noch
claret
– auf seine Gesundheit zu trinken; es konnte ihr jedenfalls nicht schaden.
    Er war von einer zweiwöchigen Kur in der Nähe Revals zurückgekehrt, als ihn Minchen um Mitternacht vor dem Kamin ertappte. Er fütterte gerade das Feuer mit den Kladden, die sie ihn allnächtlich hatte vollschreiben sehen, im gleichen Sessel, und ebenso selbstvergessen betrachtete er nun, wie sie brannten.
    Was tust du? fragte sie erschrocken.
    Ich habe zuwenig gesagt, und noch immer zuviel. Du hattest ganz recht: ich bin kein Schriftsteller.
    Um Gottes willen! sagte sie. – Aber warum gleich so!
    Ich hab mit dem Tod in der eigenen Brust den sterbenden Fechter gespielet
, sagte er.
    Sie erblaßte.
    Nur ein Zitat, Minchen, lachte er. – Von Heine.
    Was hat dir Doktor Espenberg gesagt?
    Handle so, als ob die Maxime deiner Handlung durch deinen Willen zum allgemeinen Naturgesetze werden sollte
.
    Weiter nichts? fragte sie.
    Sonst geht es mir gut. Sieh nur, sie brennen. Gebundenes Papier brennt gar nicht so leicht.
    Ach, Ermolai! – Sie fiel ihm um den Hals. – Wenn es dir nicht gutgeht, kann ich morgen doch nicht nach Reval.
    Natürlich fährst du, sagte er. – Und grüße sie schön von mir, Paps und Maman von Essen, Herrn und Frau Bezirkshauptmann.
    15
    Was er ihr nicht erzählt hatte:
    Er hatte den Aufenthalt bei Doktor Espenberg, dem alten Schiffsarzt der
Nadeschda
, dafür verwendet, den Inhalt seiner Taschenbücher mit enger Schrift, doch lesbar, auf Folioblätter abzuschreiben. Und jetzt benützte er die Abreise seiner Frau dazu, das Konvolut mit Hilfe des schärfsten Papiermessers in einen Band des
Political Register
zu versenken und, zusammen mit weiteren Jahrgängen, in eine Schiffstruhe einzuschließen. Diese aber mauerte er, mit Hilfe des verschwiegenen Kolja, in eine Nische des Pferdestalls ein, die ihn seit Jahren hohl angestarrt hatte, ohne ihren Zweck zu verraten. Frisch getüncht war die Wand viel unauffälliger.
    Nun schrieb er in Ruhe sein juristisches Testament. Er hatte wenig zu hinterlassen. Eigentlich erbte Minchen nur, was sie schon besaß.
    Was Ivar und mich betrifft:
    Er konnte die in alter deutscher Handschrift eng, aber reinlich beschriebenen Blätter nicht lesen. Aber das Versteck im Versteck stellte ein Rätsel dar, das er, statt es als Altpapier beim Antiquar zu entsorgen, aufzuheben beschloß, bis jemand bereit war, sich die
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