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Live Fast, Play Dirty, Get Naked

Titel: Live Fast, Play Dirty, Get Naked
Autoren: Kevin Brooks
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tatsächlich zu tun .
    Denk nicht drüber nach , sagte ich mir immer wieder. Tu’s einfach. Nimm den Rhythmus im Kopf auf – dah-dah, dahdah,dah-dah, dah-dah – und dann los, schlag die E-Saite an.
    Ich wartete … während die Tonart zu H wechselte.
    Dah-dah, dah-dah, dah-dah, dah-dah …
    Und dann zurück zu A.
    Dah-dah, dah-dah, dah-dah, dah-dah …
    Und schließlich wieder zurück zu E.
    Dah-dah, dah-dah, dah-dah, dah-dah …
    Dah-dah, daaaah …
    Und dann stieg ich ein.
    Obwohl ich nur einzelne Noten spielte, brauchte ich eine Weile, bis ich heraushatte, wie ich sie mit dem wummernden Rhythmus einer Bassgitarre spielen musste, doch nachdem ich ein paarmal abgebrochen und wieder eingesetzt hatte, um mit der Haltung meiner rechten Hand zu experimentieren, kapierte ich, wie ich Länge und Ausklang jedes Tons und damit auch den Rhythmus besser kontrollieren konnte.
    Während wir weiter dieses simple Drei-Akkord-Schema spielten, wurde ich immer sicherer und bald traute ich mich, hier und da ein paar Extratöne einzuflechten. Ich war noch immer weit davon entfernt, eine Basslinie im eigentlichen Sinn zu spielen, aber ein Fortschritt war es trotzdem. Ich war nicht mehr eingeschüchtert oder übermäßig unsicher. Ehrlich gesagt spürte ich sogar langsam, wie es mir richtig Spaß machte. Obwohl diese Musik so schlicht war, dass sie schon fast dumm wirkte – besonders der Part, den ich spielte –, wirkte sie genauso hypnotisierend wie die stärksten Stücke, die ich je gespielt hatte, einschließlich Debussy. Vielleicht sogar noch stärker. Es machte süchtig. Ich wollte gar nicht mehr aufhören. Ich wollte nur, dass wir weitermachten, weiterdiese wunderbar idiotische Musik spielten – dah-dah, dah-dah, dah-dah, dah-dah –, noch mal und noch mal und noch mal …
    Aber schließlich schmerzten meine Finger vom Drücken der Basssaiten so sehr, dass ich aufhören musste . Ich konnte einfach körperlich nicht mehr weiterspielen.
    Ein paar Sekunden, nachdem ich aufgehört hatte, hörten auch die andern auf.
    »Tut mir leid«, sagte ich und schüttelte die pochenden Finger aus.
    »Kein Problem«, sagte Curtis und lächelte mich an. »Ist vielleicht keine schlechte Idee, deine Hand mal eine Minute lang still zu halten.«
    »Was?«
    »Du spritzt überall Blut rum.«
    Ich hörte auf, die Hand herumzuschlenkern, und schaute auf meine Finger.
    Die Basssaiten hatten sich so tief in meine Fingerkuppen gegraben, dass der Zeigefinger blutete.
    »Scheiße«, flüsterte ich.
    Curtis lachte.
    Ich funkelte ihn an.
    »Hey«, sagte er immer noch lächelnd. »Willkommen in unserer Band.«

4
    Nach diesem Wochenende änderte sich alles für mich. Ich verbrachte viel Zeit mit Curtis, ging mehrmals die Woche abends zu ihm, um Bass zu lernen und Naked-Songs einzustudieren … zumindest redete ich mir ein, dass ich deshalb zu ihm ging. Und anfangs war es auch wirklich das Einzige, was ich dort tat.
    Wir trafen uns nach der Schule, tranken vielleicht schnell noch einen Kaffee und aßen irgendwas, dann gingen wir zu ihm nach Hause und verbrachten zwei oder drei Stunden in seinem Zimmer, um Songs durchzugehen. Ich saß mit dem Bass auf dem Bett, Curtis hockte mit der Gitarre neben mir, wir schlossen beide an einen kleinen Probenverstärker an und dann spielten wir einfach die Songs durch – noch mal und noch mal und noch mal –, bis ich sie in- und auswendig konnte. Curtis gab mir immer wieder Tipps, wie ich den Bass spielen sollte, wie ich das Beste aus ihm rausholte, wie ich den richtigen Sound hinkriegte und – was viel wichtiger war – das richtige Feeling … und nach ein paar Wochen oder so war ich nicht bloß halbwegs gut geworden, sondern hatte auch jede Menge Selbstvertrauen getankt. Ehrlich gesagt so viel, dass ich sogar anfing, bei einigen Songs mit Curtis zusammen zu singen.
    Die Songs stammten alle von ihm, sowohl die Musik als auch die Texte, und ich fand bald heraus, dass er trotz seinerLässigkeit in allen anderen Dingen das Songschreiben ungemein ernst nahm. Die Songs bedeuteten ihm alles, sie kamen ihm aus dem Herzen, aus der Seele. Auch die Texte waren so persönlich, dass er – so stolz er auf sie war – eisern jede Erläuterung verweigerte.
    »Songs sind Songs«, verkündete er einmal. »Sie brauchen keine Erklärung.«
    »Ja, schon«, sagte ich. »Aber die Worte –«
    »Sind einfach bloß Worte.«
    Curtis war auch in Bezug auf seine Musik sehr eigen und bestimmend. Er wusste genau, wie sie zu klingen hatte und wie
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