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Live Fast, Play Dirty, Get Naked

Titel: Live Fast, Play Dirty, Get Naked
Autoren: Kevin Brooks
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der Stücke für die demnächst anstehende Klavier-Aufnahmeprüfung in die letzte Klasse.
    Mansfield Heath war eine mittelgroße Privatschule in Hampstead im Norden von London, wo ich wohnte. Sie wareine der ersten privaten Schulen im Land, in denen Jungen und Mädchen gemeinsam unterrichtet wurden. Das Hauptgebäude, das aus dem 17. Jahrhundert stammte, war ein imposanter alter Backsteinbau mit Türmchen und Wasserspeiern und schweren Eichentüren, umgeben von üppig grünen Sportplätzen und uralten Bäumen. Der Musikraum befand sich in einem kleinen Ziegelstein-Anbau neben der Kapelle, gleich hinter den Sportplätzen.
    Es war Freitagnachmittag, so gegen zwei Uhr, und ich war allein. Mein Musiklehrer – Mr Pope – ließ mich hier üben, wann immer der Raum nicht anderweitig gebraucht wurde, und nachdem ich gerade ein paar Freistunden hatte, nutzte ich die Chance, mich in eine besonders schwierige Stelle des Stücks zu vertiefen, das ich gerade einstudierte. So saß ich also allein im Musikraum vor dem Klavier, spielte die Stelle wieder und wieder und war derart konzentriert, dass ich nicht hörte, wie die Tür aufging und jemand hereinkam. Ich spielte einfach weiter. Gerade hatte ich die heikle Stelle in den Griff bekommen und nun wollte ich sehen, wie sich die Passage in das gesamte Stück einfügte, weshalb ich direkt zurück an den Anfang ging und das Ganze einmal komplett durchspielte.
    Es war ein Stück von Debussy, die Arabesque Nr. 1. Eine wunderbare Musik, so leicht und verträumt wie ein perfekter Sommertag, und auch wenn ich mit einigen der technisch schwierigen Stellen noch ein bisschen kämpfte, hielt mich das nicht davon ab, mich jedes Mal beim Spielen in der Schönheit dieser Musik zu verlieren. Und wenn ich das Ende erreichte und sich der letzte leise Akkord sanft in der widerhallenden Stille verlor … also, das war immer wieder etwas ganz Besonderes für mich. Das plötzliche Schweigen,das Gefühl der Musik, die durch die Luft davonschwebte, der Zauber der Melodie, die noch in meinem Kopf nachklang …
    Ich gönnte mir jedes Mal einen Moment der Stille, um dieses Gefühl auszukosten.
    Doch als ich an diesem Tag dasaß und den Moment genoss, wurde die Stille von einem leisen Applaus in meinem Rücken zerstört. Erschrocken fuhr ich herum, in der Erwartung, Mr Pope zu sehen, doch statt des graubärtigen Gesichts meines Musiklehrers sah ich einen lächelnden Curtis Ray.
    »Das war spitze «, sagte er, immer noch leise klatschend. »Absolut spitze …«
    Ich starrte ihn an. Er lehnte lässig an der Wand drüben beim Fenster, die stechenden blauen Augen auf meine gerichtet … und er lächelte mir zu. Ich konnte es nicht fassen. Er war Curtis Ray … er war da, bei mir. Er lächelte mich an.
    »Debussy, stimmt’s?«, sagte er.
    »Was?«
    »Die Musik … das Stück, das du gerade gespielt hast, das war doch Debussy.«
    »Ach so, ja …«, antwortete ich, immer noch ein bisschen fassungslos. »Ja … die erste Arabeske.«
    Er nickte. »Echt schön.«
    Unwillkürlich warf ich einen Blick zur Partitur auf dem Klavier – vielleicht wusste er ja nur deshalb, dass es Debussy war, weil er es vom Titelblatt abgelesen hatte. Aber das Titelblatt war nicht zu sehen. Und als ich mich wieder zu ihm umdrehte, spürte ich schon, wie Verlegenheit in mir aufstieg, weil ich so arrogant gewesen war zu glauben, er könne diese Art Musik doch unmöglich nur vom Hören erkannt haben.
    »Entschuldigung«, fing ich an. »Ich wollte nicht –«
    »Du bist Lilibet Garcia, nicht?«, sagte er, drückte sich von der Wand ab und schlenderte lässig auf mich zu.
    »Lili«, sagte ich.
    »Magst du nicht, wenn man dich Lilibet nennt?«
    »Du vielleicht?«
    Er lächelte. »Ich heiße ja auch Curtis Ray.«
    Wenn der Ausdruck Krass! damals schon in Mode gewesen wäre, hätte ich das wahrscheinlich gesagt … oder zumindest gedacht. Aber wir waren noch in den Zeiten vor Krass! und ich musste mich damit begnügen, ironisch vor mich hinzudenken: Wirklich wahr? Curtis Ray? Das hätt ich ja nie gedacht …
    Wenn ich es genau überlege, war Ironie wahrscheinlich das Letzte, was mir in dem Moment einfiel, und vermutlich dachte ich auch überhaupt nichts in diese Richtung.
    Zum einen war ich viel zu verlegen. Verlegen wegen meines flatternden Herzens, verlegen, weil ich nicht aufhören konnte, Curtis anzustarren, und weil mir plötzlich bewusst wurde, dass ich mein absolut unvorteilhaftes rosa Schulkleid anhatte, während er so lässig wie
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