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Das Vermächtnis der Wanderhure

Titel: Das Vermächtnis der Wanderhure
Autoren: Iny Lorentz
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I.
     
    S chreie von Kriegern und Pferden hallten misstönend in Maries Ohren, und über dem Schlachtenlärm lag der Klang hussitischer Feldschlangen, die Tod und Verderben in die dicht gedrängten Reihen der deutschen Ritter spien. Sie sah böhmisches Fußvolk in blauen Kitteln mit kleinen, federgeschmückten Hüten wie die Woge einer Sturmflut auf das eisenstarrende kaiserliche Heer zurollen. Zwar schützten sich die Angreifer nur durch Lederpanzer und kleine Rundschilde, doch sie schienen zahllos zu sein, und über ihren Köpfen blitzten Hakenspieße und die Stacheln der Morgensterne.
    Nun vernahm sie Michels Stimme, der seine Leute zum Standhalten aufforderte. Dennoch löste sich an anderen Stellen die Formation der Deutschen auf, und ihre Schlachtreihe bröckelte wie ein hart gewordener Laib Brot, den man mit den Händen zerreibt, um ihn an die Schweine zu verfüttern. In diesem Moment begriff Marie, dass Kaiser Sigismund die Seinen in eine vernichtende Niederlage geführt hatte. Sie stöhnte auf und zog Trudi enger an sich.
    Da stürmte einer der fliehenden Ritter direkt auf sie zu. Sein Visier stand offen, und sie erkannte Falko von Hettenheim. Er blieb vor ihr stehen und wies mit dem Daumen auf Michel, der von einer dichten Traube böhmischer Rebellen umzingelt war. »Diesmal opfert sich dein Mann für den Kaiser. Gleich wird er krepieren, und nichts kann dich mehr vor meiner Rache schützen!«
    Marie versteifte sich und tastete nach dem Dolch, den sie in einer Falte ihres Kleides verborgen hielt, mochte die Waffe auch im Vergleich zu dem Schwert des Ritters eine Nadel sein. Falko von Hettenheim hob die Klinge zum Schlag, hielt aber mitten in der Bewegung inne und lachte auf.
    »Ein schneller Tod wäre eine zu leichte Strafe für dich, Hure. Du sollst leben und dabei tausend Tode sterben!« Er griff mit der gepanzertenpanzerten Rechten nach Trudi, riss das Kind an sich und wandte sich hohnlachend ab.
    Mit einem verzweifelten Schrei wollte Marie ihm folgen, um ihre Tochter zu retten. Im gleichen Augenblick packte jemand sie an der Schulter und schüttelte sie kräftig.
    »Wacht auf, Herrin!«
    Marie schreckte hoch und öffnete die Augen. Da gab es keinen Falko von Hettenheim mehr, auch keine Böhmen und keine deutschen Ritter, sondern nur ein friedliches grünes Ufer und einen träge fließenden Strom. Sie selbst befand sich auf einem schlanken, von zwei hurtigen Braunen getreidelten Flussschiff und sah Anni und Michi vor sich stehen, die sie sichtlich besorgt musterten.
    »Was ist mit Euch, Frau Marie? Seid Ihr krank?«, fragte der Junge.
    »Nein, mir geht es gut. Ich bin wohl kurz eingeschlafen und habe schlecht geträumt.« Marie erhob sich, brauchte aber die helfende Hand ihrer Leibmagd, um sicher auf den Beinen zu stehen.
    »Schlechte Träume nicht gut.« Inzwischen vermochte Anni sich zwar fließend auszudrücken, aber wenn sie sich aufregte, fiel sie in ihr früheres Stammeln zurück.
    Marie lächelte ihr beruhigend zu und trat an den Rand der Barke. Während sie den grünen Auwald betrachtete, der an dieser Stelle bis in den Strom hineinwuchs und die Pferde zwang, durch das Wasser zu laufen, glitten ihre Gedanken wieder zu dem Traum zurück. Sie hatte ihn so intensiv erlebt, dass sie den Geruch des verschossenen Pulvers noch in ihrer Nase zu spüren glaubte. Darüber wunderte sie sich, denn Michel und sie waren den böhmischen Verwicklungen fast unversehrt entkommen, und es bestand auch keine Gefahr, wieder hineingezogen zu werden. Den Verräter Falko von Hettenheim hatte die Strafe des Himmels ereilt, und ihr Ehemann weilte auf Kibitzstein, dem Lehen, das Kaiser Sigismund ihm verliehen hatte. Sie aber hatte sich aufgemacht,ihre Freundin Hiltrud auf deren Freibauernhof in der Nähe von Rheinsobern zu besuchen.
    Gerne hätte sie den Besuch bis ins Frühjahr aufgeschoben, um auf dem Rückweg nicht in kaltes, stürmisches Herbstwetter zu geraten. Doch dann hatte sie zu ihrer und Michels übergroßen Freude festgestellt, dass sie schwanger war. Sie wollte Michels Patensohn Michi jedoch persönlich nach Hause bringen, denn Hiltrud hatte ihren Ältesten seit mehr als zwei Jahren nicht gesehen, und ohne den Jungen hätten Michel und sie in Böhmen ein grausames Ende gefunden. Marie war Hiltrud überaus dankbar, dass die Freundin ihr bei jener Flucht aus der Pfalz ihren Sohn mitgegeben hatte, obwohl diese nicht von ihrem Plan überzeugt gewesen war.
    Nun würde Hiltrud zugeben müssen, dass Marie damals Recht
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