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Live!

Live!

Titel: Live!
Autoren: Petros Markaris
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irritiert mich.«
    »Kommen Sie«, sagt sie und erhebt sich.
    Sie zieht die Schiebetür auf und läßt mich vorbei. Ich trete in ein kleineres Zimmer mit einem Sofa, einem Tischchen und je einem Stuhl mit hoher Rückenlehne an jeder Wand. An der dem Sofa gegenüberliegenden Wand befindet sich ein Fernseher mit einem überdimensionalen Bildschirm. Zwischen dem Sofa und dem Fernseher sitzt ein Mann in einem Rollstuhl. Auf den ersten Blick wird klar, daß er einen schweren Schlaganfall erlitten haben muß. Seine linke Hand ist gelähmt, sein Kopf ist auf die linke Schulter herabgesunken und zittert ununterbrochen, während sein Mund bis zur Unkenntlichkeit verzerrt ist. Nur die rechte Hand kann er mit Mühe bewegen.
    »Das ist mein Mann, Herr Kommissar«, höre ich Jannelis Stimme neben mir. »Unehrenhaft entlassener Infanteriemajor Jagos Skouloudis. Jagoulas, wie man ihn bei der Militärpolizei nannte. Er wurde zu einer fünfzehnjährigen Haftstrafe verurteilt, erlitt in seiner Hoffnungslosigkeit drei Schlaganfälle und wurde als unheilbar aus der Haft entlassen. Er kann nicht gehen, nicht sprechen und die einzige Kontaktaufnahme läuft über diese Notizzettel.«
    Sie deutet auf einen Korb mit kleinen Nachrichten, der an der Armlehne des Rollstuhls befestigt ist. In Höhe seiner rechten Hand ist ein Klapptischchen angebracht, auf dem Zettel und ein Kugelschreiber liegen. Offenbar schreibt Skouloudis seine Kommentare auf und schiebt sie dann in das Körbchen.
    »Lesen Sie, wenn Sie möchten«, meint die Janneli.
    Die Mühe, die Skouloudis das Schreiben kostet, ist selbst für einen Blinden zu erkennen. Die klobigen Buchstaben wurden einzeln und mit starkem Druck auf die Unterlage gemalt.
     
    Das Schlitzauge kocht mir nur Tee. Ich will Kaffee, null Reaktion. O Mann!
     
    Der zweite Zettel enthält einen Aufschrei:
     
    BREI ! BREI ! BREI ! ICH HAB ’ S SATT !
     
    »Er kann nicht kauen«, erklärt die Janneli, die über meine Schulter mitliest. »Er ißt nur Suppen, Püree, höchstens ein wenig gekochten Fisch.«
    Die dritte Notiz erinnert an militärischen Befehlston:
     
    Sag dieser Gans, sie soll später mit mir Spazierengehen, sonst sind wir zu früh zurück und mir wird sterbenslangweilig.
     
    Auf dem letzten Zettel steht die Bemerkung:
     
    Ich habe American Yakuza 2 gesehen. Überall siegen die Starken. Nur wir haben verloren. So eine Schande!
     
    Die Janneli beugt sich zu ihm hinunter. »Ich habe etwas mit dem Herrn zu besprechen, und dann komme ich zu dir. In Ordnung, Jagos?« meint sie sanft.
    Da sein Kopf ständig zittert, kann man schwer sagen, ob er zustimmt oder gleichgültig bleibt. Die Janneli bedeutet mir hinauszugehen und schließt die Tür hinter sich.
    »Drei Monate nach seiner Verhaftung kam ein Freund bei uns vorbei und überbrachte mir einen Schlüssel, zusammen mit einer Adresse in Liossia. Dort habe ich eine Zweizimmerwohnung voll mit Akten gefunden. Jagos hatte die Unterlagen all seiner Verhöre kopiert: Behördenbriefe, Gesuche, Fotografien. Darunter fand ich die Akte meines Vaters sowie die von Jason Favieros, Loukas Stefanakos und Apostolos Vakirtsis. Auf diese Weise habe ich von der Gruppierung Che erfahren. Als die Archive der Militärpolizei in Keratsini in Flammen aufgingen, blieb einzig dieses Archiv zurück«, fügt sie lächelnd hinzu.
    »Und wo befindet es sich jetzt?«
    »Lassen Sie mich zu Ende erzählen. Im Verlauf seiner Haftstrafe wurde mir nach und nach das Netzwerk bewußt, das Jagos all die Jahre über aufgebaut hatte. Von Zeit zu Zeit tauchten unbekannte Personen auf und gaben mir Informationen weiter – in der Hoffnung, daß sie dem Major damit helfen konnten. Eines Tages sagte ich während der Besuchszeit in verschlüsselter Form zu ihm, verschiedene Leute kämen und brächten Geschenke für ihn vorbei. Er begriff sofort und erklärte knapp: ›Laß die Finger davon.‹ Bis eines Tages jemand mit Informationen kam, die mich persönlich interessierten. Er erzählte, Jannelis und seine Gruppe seien wieder aktiv geworden. Sie hätten die Unabhängige Widerstandsbewegung Che aufgelöst und statt dessen die Revolutionäre Vereinigung 8. Oktober gegründet …«
    Der Name sagt mir etwas. »Haben die nicht Attentate auf Bankfilialen verübt?«
    »Ja, und zwei auf die Athener Börse, aber die Sprengsätze detonierten nicht. Der 8. Oktober 1967 ist Che Guevaras Todestag. Mein Informant war äußerst methodisch vorgegangen. Er hatte herausgefunden, wo sich der geheime Treffpunkt
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