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Live!

Live!

Titel: Live!
Autoren: Petros Markaris
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Tag zu Tag besser aus.«
    »Woraus schließt du das denn?« entgegnete ich ärgerlich. »Mir geht’s hundeelend. Ich habe Schmerzen, bin völlig erschöpft und will nichts als schlafen.«
    Statt einer Antwort drückte sie mir einen innigen Kuß auf die Backe und umarmte mich so fest, daß meine Wunde noch mehr schmerzte als vorher.
    Zuletzt kam stets meine Schwägerin Eleni herein. Sobald Adriani sie benachrichtigt hatte, daß man mich halbtot ins Krankenhaus gebracht hatte, war sie von der Insel, auf der sie wohnt, herbeigeeilt.
    Eleni gehört zu den Menschen, die einen mit der Misere der anderen trösten wollen. So begann sie mir nacheinander alle Krankheitsfälle in ihrer Familie aufzuzählen. Von ihrer Tochter, die als Allergikerin so gut wie nichts essen und keine normale Kleidung tragen darf, über ihren Mann, der an Bluthochdruck leidet und mit Adalat in der Hosentasche herumläuft, und ihre Schwiegermutter, die aufgrund eines Beckenbruchs bettlägerig ist und abwechselnd von ihr und der anderen Schwiegertochter gewindelt werden muß, bis zu einem entfernten Cousin, der mit dem Motorrad gestürzt ist und nunmehr seit drei Monaten im Krankenhaus liegt, wobei ungewiß ist, ob er jemals wieder wird gehen können. Bevor sie ging, warf sie mir noch den moralischen Lehrsatz »Du kannst Gott auf Knien danken« an den Kopf.
    Danach hatte ich bis zum Nachmittag Zeit für mich selbst. Im Krankenzimmer herrschte vollkommene Ruhe, die Schwestern waren außerordentlich diskret, und überhaupt ließ man mich in Frieden.
    Die Katze reißt ihr Maul sperrangelweit auf und gähnt majestätisch. Ganz so, als wäre sie meiner überdrüssig. Ich trage es ihr nicht nach, denn ich bin meiner selbst noch viel überdrüssiger als sie.
    »Wollen wir nicht langsam gehen?« meine ich zu Adriani, frage mich aber gleichzeitig, warum ich denn gehen sollte, wo mich doch zu Hause die gleiche Tristesse erwartet.
    »Bleib noch ein wenig sitzen. Die frische Luft tut dir gut.«
    »Vielleicht kommt ja Fanis …«
    »Damit würde ich nicht rechnen. Soviel ich weiß, hat er heute Dienst.«
    Nicht daß ich darauf brenne, von einem Arzt untersucht zu werden. Ich komme einfach gut aus mit Fanis Ousounidis, dem Freund meiner Tochter. Mein Verhältnis zu Fanis steht ganz im Gegensatz zur Entwicklung der Athener Börse. Die erlebte nämlich zuerst ihren Höhenflug und begann dann zu kollabieren, während unser Verhältnis zunächst einmal am Boden zerstört war und sich dann langsam erholte. Ich habe ihn als diensthabenden Kardiologen kennengelernt, als ich eines Abends wegen drohendem Herzinfarkt ins Allgemeine Staatliche Krankenhaus eingeliefert wurde. Ich mochte ihn, weil er immer gutgelaunt war, immer einen Scherz parat hatte. Bis ich erfuhr, daß er mit meiner Tochter angebändelt hatte. Da verdüsterte sich meine Laune, und ein heftiges Gewitter zog auf. Schließlich habe ich mich, Katerina zuliebe, mit dem Gedanken abgefunden, daß er ihr Freund war. Ihm persönlich konnte ich allerdings nur wenig abgewinnen. Ich hatte den Eindruck, daß er mein Vertrauen mißbraucht hatte. Wenn man durch die Polizeischule gegangen ist, dann bleibt der Gedanke des Verrats wie ein Blutegel an einem haften. In der Intensivstation kamen wir uns zum ersten Mal näher, und das hatte nichts mit der medizinischen Betreuung zu tun. Gegen zwölf, kurz vor dem Mittagessen, tauchte sein lachendes Gesicht in der Tür auf. Jedesmal rief er mir etwas anderes zu. Von »Wie geht’s uns denn, Herr Kommissar?« über »Was treibt mein zukünftiger Schwiegervater?« bis zum ironisch überbetonten »Papa!« Das wiederholte sich drei-, viermal täglich, aber auch nachts, wenn er Dienst hatte, verknüpft mit diskreten Fragen nach meinem Befinden und ob es mir an nichts fehle. Das erfuhr ich indirekt von den Krankenschwestern, die mir dann und wann zuwarfen: »Wir müssen gut auf Sie aufpassen, sonst schimpft Herr Doktor Ousounidis mit uns!«
    Die Sache begann mir zu stinken, als ich aus der Intensivstation verlegt wurde. Noch am selben Tag richtete sich Adriani häuslich in meinem Zimmer ein und riß die Kontrolle an sich. Das wurde geduldet, weil ich als Kommissar im Dienst verwundet worden war, andererseits wegen der Beziehung meiner Tochter zu Fanis. Die Ärzte fühlten sich verpflichtet, Adriani tagtäglich Bericht zu erstatten, über meine Fortschritte, über die Medikamente, die sie mir verabreichten, über die kleinsten Komplikationen, die mein postoperativer Zustand nach sich
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