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Live!

Live!

Titel: Live!
Autoren: Petros Markaris
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zog. Vom dritten Tag an blieb sie auch zur Visite und verwickelte die Ärzte in langwierige Diskussionen. Wagte ich auch nur einmal eine Meinung zu äußern, wie etwa, daß ich Schmerzen hätte oder ein Ziehen an der Wunde bemerkte, schnitt sie mir das Wort ab: »Überlaß das ruhig mir, Kostas. Du verstehst nichts davon.« Die Ärzte gaben klein bei, schon Fanis’ wegen, während ich zu schwach war, um Kontra zu geben. Den Krankenschwestern ging sie auf die Nerven, aber sie trauten sich nicht, es offen zu zeigen. Schließlich entschloß sich Katerina dazu, mit ihr zu reden. Adriani brach in herzzerreißendes Schluchzen aus. »Schon gut, Katerina«, sagte sie unter Tränen, »wenn ihr mir die Betreuung meines Mannes nicht zutraut, dann laßt ihn doch rund um die Uhr von einer Privatkrankenschwester pflegen, und ich geh nach Hause.« Ihr Weinen entwaffnete Katerina und besiegelte meine Geiselhaft.
    »Es ist kühl, zieh deine Weste an.« Sie zieht die selbstgestrickte Weste aus ihrer Tasche und überreicht sie mir.
    »Laß mal, mir ist nicht kalt.«
    »Doch, dir ist kalt, lieber Kostas. Überlaß das ruhig mir.«
    Die Katze erhebt sich von ihrem Platz, streckt sich und springt mit einem lautlosen Satz herunter. Sie wirft mir einen letzten Blick zu, dann wendet sie sich um und entfernt sich mit hocherhobenem Schwanz, der an die Antenne eines Streifenwagens erinnert.
    Tiere rufen weder freundschaftliche noch feindselige Gefühle in mir wach. Ich habe schlicht keinerlei Bezug zu Tieren. Aber die Arroganz dieser Katze geht mir auf den Geist.
    Schließlich packe ich die Weste und ziehe sie über.

2
    F anis straft Adriani Lügen. Er taucht um sieben auf, als ich gerade die Mittagszeitung lese. Das ist noch eine Neuerung in meinem Leben nach dem Krankenhaus: Früher waren die Wörterbücher mein einziger Lesestoff. Nun habe ich als Gegengift für meine Langeweile mein Interesse auch auf Zeitungen ausgeweitet. Ich fange mit der Morgenzeitung an, die mir Adriani mitbringt, wenn sie vom Einkaufen zurückkommt. Anschließend blättere ich meine Wörterbücher durch. Nach meinem Spaziergang kaufe ich das Mittagsblatt und lese haargenau dieselben Nachrichten wie am Morgen, und schließlich sehe ich dieselben Nachrichten zum dritten Mal im Fernsehen und kann sicher sein, daß mir nichts entgeht. Die Ärzte reden dauernd von postoperativen Komplikationen, doch die sind angesichts der Nebenwirkungen, die eine Krankschreibung zeitigt – unerträgliche Langeweile und gräßliche Trägheit –, einfach lachhaft.
    Fanis findet mich also vor, wie ich – mit der Hingabe eines autistischen Kindes – das Kleingedruckte des Wirtschaftsteils verschlinge. Ich trage immer noch die Weste, die mir Adriani im Park aufgedrängt hat, nicht etwa, weil ich friere, sondern weil ich einen derartigen Grad an Apathie erreicht habe, daß ich nicht mehr zwischen Kälte und Wärme unterscheiden kann. Ich bin imstande, mit der Weste ins Bett zu gehen, wenn Adriani sie mir nicht vorsorglich auszieht.
    Fanis steht vor mir und lächelt mich an. »Wie wär’s mit einer Spazierfahrt?«
    »Hast du denn keinen Dienst?« frage ich, während ich den Blick von der Zeitung hebe.
    »Ich habe mit einem Kollegen getauscht. Dem hat meine Schicht besser gepaßt.«
    Ich lasse die Zeitung sinken und stehe auf.
    »Aber nicht, daß ihr euch zum Abendessen verspätet«, ruft Adriani aus der Küche. »Kostas muß um neun essen.«
    »Wieso? Was ist denn dabei, wenn er um zehn ißt?« lacht Fanis.
    Adriani steckt die Nase aus der Küche. »Mein lieber Fanis, du bist doch Arzt. Findest du es richtig, wenn er mit vollem Magen ins Bett geht? Jetzt, wo er sich erholen soll?«
    »So, wie du ihn ernährst, kann er auch um Mitternacht essen und gleich anschließend in die Heia.«
    »Laß uns gehen, sonst kommen wir hier gar nicht mehr weg«, sage ich zu Fanis, denn ich sehe, wie sie zu ihrer Verteidigung verschiedene erprobte Argumente in Stellung bringt. Wenn sie loslegt, kann ich die Spazierfahrt abschreiben.
    Früher hat sie bei Fanis’ Anblick alles stehen- und liegenlassen, um ihm Gesellschaft zu leisten. Heute öffnet sie kurz die Wohnungstür und verschwindet dann gleich in die Küche. Generell sieht sie Besucher nicht gern, da sie mich ihrer absoluten Herrschaft entreißen könnten. Fanis gegenüber ist sie zurückhaltend und mißtrauisch, denn er ist Arzt und könnte sie mit seinem Wissen übertrumpfen.
    »Warum trägst du eine Weste? Ist dir kalt?« fragt
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