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Live!

Live!

Titel: Live!
Autoren: Petros Markaris
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Fanis.
    »Nein.«
    »Dann zieh sie aus, draußen ist es warm. Sonst kommst du ins Schwitzen.«
    Ich ziehe sie aus. Meine Frau zieht mir die Weste an, mein Arzt zieht sie mir wieder aus, und ich tue, was man von mir verlangt.
    »Fahren wir die Küstenstraße entlang und lassen uns ein wenig Seeluft um die Nase wehen«, meint Fanis und biegt in den Vouliagmenis-Boulevard ein.
    Es herrscht nur wenig Verkehr, und die Fahrzeuge rollen gemächlich dahin. Seitdem der Flughafen nach Spata verlegt wurde, kann der Vouliagmenis-Boulevard aufatmen. Fanis fährt die Alimou-Straße hinunter und gelangt auf den Possidonos-Boulevard. Spaziergänger drängeln sich die Küste entlang, auf dem eineinhalb Meter breiten Gehweg bis zur steinernen Befestigung vor dem Meer. Den übrigen Gehsteig haben Inder, Pakistani, Ägypter und Sudanesen besetzt, die auf Tischtüchern Damenhandtaschen, Handyhüllen, Euro-Umrechner, Feldstecher, Uhren, Wecker, Plastikblumen und kleine Geldbörsen für Cent- und Euromünzen feilbieten. Sie hocken auf Zehenspitzen hinter ihren Ständen und plaudern miteinander, da die Spaziergänger achtlos an ihren Waren vorübergehen.
    Es ist Juni, die große Hitze ist noch nicht hereingebrochen, und vom Saronischen Golf her weht mir eine milde Brise ins Gesicht. Viele plantschen noch im Meer oder spielen Federball am Strand, während einige Surfer in der Bucht von Faliro hin- und hergleiten, alle naselang umkippen und sich wieder hochrappeln.
    Ich schließe die Augen und fühle mich ganz leer. Ich versuche an nichts zu denken, weder an die Hühnersuppe mit den Teigsternchen, die mir wieder hochkommen wird, noch an die restlichen zwei Monate Dasein als autistisches Kind – Krankschreibung genannt – noch an die Katze, die mich morgen nachmittag wie üblich im Park erwartet. Ich versuche an etwas anderes zu denken, doch es fällt mir nichts ein.
    »Du mußt die Apathie überwinden, in die du durch den Genesungsurlaub verfallen bist.«
    Fanis’ Stimme weckt mich, und ich schlage die Augen auf. Wir haben Kalamaki hinter uns gelassen und fahren in Richtung Elliniko. Fanis fährt, mit dem Blick auf die Straße gerichtet, fort: »Wie du weißt, konnten wir uns anfänglich nicht ausstehen. Du hast mich für einen kaltschnäuzigen, hochnäsigen Quacksalber gehalten, und ich dich für einen ungehobelten Bullen, einen Fiesling, der meinte, ich hätte seine Tochter verführt. Aber selbst da warst du mir lieber als jetzt, in dieser abgrundtiefen Schlaffheit.«
    In seinem Bemühen, mich zur Räson zu bringen, hat er sich ablenken lassen und muß das Lenkrad herumreißen, um einem Pärchen in einem Ford Cabriolet auszuweichen. Dem Lenker stehen – wie es die neueste Mode vorschreibt – die Haare zu Berge, als hätte er gerade Graf Dracula erblickt. Die Kleine trägt einen Nasenring.
    Der Typ mit den zu Berge stehenden Haaren erwischt uns an der roten Ampel. Er kommt herangeprescht, um Fanis eine Standpauke zu halten, da fällt sein Blick auf das Emblem des Ärzteverbandes an der Windschutzscheibe. »Arzt, was? Hätte ich mir denken können!« ruft er triumphierend. »So eine Fahrweise läßt nur auf einen Arzt schließen oder auf eine Frau am Steuer.«
    »Wieso? Was hast du gegen Frauen am Steuer, Jannakis?« fährt die Kleine an seiner Seite dazwischen.
    »Gar nichts, mein Engel. Aber am Steuer gilt: ›Frau am Steuer, Ungeheuer.‹.«
    »Aha, also ist deine Mama ein Ungeheuer, das du fünfmal am Tag anrufst, weil du ohne seine Stimme nicht leben kannst?«
    Die Kleine ist dermaßen außer sich, daß selbst ihr Nasenring zittert. Sie reißt die Tür des Cabriolets auf, steigt aus und schlägt sie hinter sich zu.
    »Komm her, Maggy, he! Wo willst du denn hin, verdammte Kacke noch mal!«
    Die Kleine hört ihn gar nicht mehr. Sie geht zwischen den Autos hindurch und tritt auf den gegenüberliegenden Gehsteig.
    »Du bist schuld, du Kurpfuscher!« schleudert der Typ Fanis entgegen.
    »Ich bin kein Kurpfuscher«, entgegnet Fanis lachend, »sondern Kardiologe. Und wenn du so weitermachst, dann kriegst du gleich einen Herzinfarkt.«
    Der Typ hört aber nicht auf ihn. Nachdem es grün geworden ist, rollt er im Schneckentempo voran und hupt wie verrückt, damit sich die Kleine umwendet. Zugleich attackieren ihn die Wagen hinter ihm ebenfalls mit der Hupe, damit er endlich Gas gibt und alle losfahren können.
    Fanis krümmt sich vor Lachen. Ich verfolge die Szene fast teilnahmslos, und Fanis entgeht das nicht. »Siehst du, früher wärst du
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