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Live!

Live!

Titel: Live!
Autoren: Petros Markaris
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der Janneli sprechen sollte, um mich abzusichern, und dann erst zu Gikas zu gehen, um mit meinen Ergebnissen aufzuwarten.
    Wie bringt man fünf Stunden über die Runden, wenn man auf glühenden Kohlen sitzt? Zunächst einmal unterhalte ich mich über längere Zeit mit den Reportern. Sie blicken mich sprachlos an, da ich zum ersten Mal mit ihnen im Plauderton konferiere. Da Sotiropoulos etwas schwant, bleibt er etwas länger. Davon haben wir beide etwas, denn er schneidet sein Lieblingsthema Selbstmorde an, und ich antworte mit Schaumschlägereien, damit die Zeit vergeht. Zum Schluß bekomme ich Gewissensbisse und erzähle ihm, er solle noch einen Tag Geduld haben, vielleicht hätte ich morgen Neuigkeiten für ihn. Er bedrängt mich, ihm meine Quellen zu nennen, aber ich widerstehe seinem Ansturm wie ein Fels in der Brandung. Dreimal fahre ich in die Cafeteria hinunter, wo ich mir hintereinander drei Pseudo-Mokkas hole, ein Croissant in Zellophanhülle und ein Päckchen-Cracker für meinen nervösen Magen.
    Voraussichtlich werde ich etwa eine Dreiviertelstunde nach Pefki brauchen. Der kürzeste Weg führt über den Kifissias-Boulevard und nach den Ivi-Getränkewerken links über die Ajiou-Konstantinou-Straße zur Chrysostomou-Smyrnis-Straße. Es ist ein sommerlicher Montagnachmittag, alle Geschäfte sind geschlossen, und auf den Straßen herrscht fast kein Verkehr. Ich treffe eine Viertelstunde zu früh ein und drehe zwei Runden um den Häuserblock, um genau zum vereinbarten Zeitpunkt an der Tür zu läuten. Das Klingelschild in der Tombasi-Straße 7 lautet nur auf den Namen Koralia Janneli. Ich frage mich, ob Skouloudis verstorben ist oder einfach kein Lebenszeichen mehr von sich geben will. Das Apartment liegt im fünften Stock im Dachgeschoß.
    Sie öffnet mir persönlich die Tür. Sie trägt dasselbe Lächeln im Gesicht wie in ihrem Büro der BALKAN PROSPECT und hat auch eines ihrer Ensembles an.
    »Treten Sie ein«, meint sie und führt mich in ein geräumiges Wohnzimmer, das auf eine Veranda mit heruntergekurbelter Markise und unzähligen Pflanzen, zumeist Bäumchen in großen Tontöpfen, führt. Rechts an der Wand befindet sich eine geschlossene Schiebetür. Dahinter ist das leise Gemurmel eines Fernsehers zu vernehmen.
    »Setzen Sie sich«, sagt sie und deutet auf einen Sessel, von dem man einen Ausblick auf den Volkspark von Pefki hat. »Möchten Sie etwas trinken?«
    »Nein, vielen Dank.«
    Sie nimmt mir gegenüber auf dem Sofa Platz. Sie versucht mir das Gefühl zu vermitteln, sie hätte mich auf ein Kaffeekränzchen eingeladen. Aber es fällt ihr nicht ganz leicht, ihre Nervosität zu verbergen.
    »Also, wo fangen wir an? Bei Minas Logaras?«
    Sie lacht auf. »Es gibt keinen Minas Logaras, und das wissen Sie so gut wie ich.« Mit einem Schlag wird sie ernst. »Nein, wir müssen bei der Festnahme meines Vaters beginnen.«
    Ich überlasse es ihr, das Tempo ihrer Erzählung selbst zu bestimmen. Jetzt, wo ich ihr gegenübersitze, fühle ich mich entspannt. Ich habe es nicht eilig und kann warten.
    »Mein Vater wurde im Frühjahr ’72 verhaftet. Eines Nachts riß man uns gegen zwei Uhr aus dem Schlaf. Sie packten meinen Vater, schlugen auf ihn ein und zerrten ihn zur Tür.« Sie hält inne und sagt tonlos, als mache sie eine simple Feststellung: »Damals, Herr Kommissar, habe ich meinen Vater zum letzten Mal gesehen.«
    Sie verstummt kurz. Schließlich fährt sie fort: »Mein Vater hat sich, genau wie meine Mutter, sein Leben lang in politischen und revolutionären Bewegungen engagiert. Uns Kinder wollten sie jedoch von all dem fernhalten. Sie sprachen nicht mit uns darüber, erklärten uns nichts, erwähnten es einfach mit keinem Wort. Das taten sie zu unserem Schutz, aber auch aus Angst, wir könnten etwas ausplaudern. Auf diese Weise hatten wir keine Ahnung von ihren Tätigkeiten, lebten aber in einer unbestimmten Angst. Ich erzähle Ihnen das, damit Sie unsere panische Reaktion verstehen, als unser Vater verhaftet wurde.« Sie blickt mich an und lächelt mit leiser Ironie. »Sie sind ja Polizist und wissen, wovon ich rede.«
    Ich weiß es. Aber in meiner Position sehe ich selten die Unschuldigen, sondern eher die Schuldigen in Panik geraten.
    »Ich ging damals in die dritte Klasse des Lyzeums, Kimon in die dritte Klasse des Gymnasiums. Unsere Mutter war zwei Jahre zuvor gestorben. Wir hatten keinerlei Unterstützung, wir kannten niemanden. Am nächsten Morgen begann ich diskret nachzuforschen, wohin man
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