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Live!

Live!

Titel: Live!
Autoren: Petros Markaris
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glauben Sie, lasse ich mir einen Bart stehen? Damit mich keiner mehr auf der Straße erkennt. Ich ertrage es nicht, von den Leuten angestarrt zu werden.«
    »Deswegen also? Ich dachte eher, der Bart sei eine Hommage an Che Guevara«, sage ich ironisch.
    »Wie kommen Sie denn darauf?« meint er verdutzt.
    »Warum denn nicht! Unter der Diktatur haben Sie die roten Socken und ihre Mitstreiter bekämpft. Ihretwegen haben Sie zehn Jahre Gefängnis auf dem Buckel. Und jetzt verkaufen Sie T-Shirts mit Che-Guevara-Aufdruck.«
    Ich schlage in diese Kerbe, um ihn aus der Reserve zu locken, aber er blickt mich an, als wäre ich ein Außerirdischer.
    »Wo leben Sie eigentlich? Die Zeiten der roten Socken sind vorbei, heutzutage sind T-Shirts angesagt«, ist seine Antwort. »Es stehen keine politischen Kämpfe mehr auf dem Programm, sondern nur noch Abkassieren. Erinnern Sie sich, was Oberst Pattakos immer sagte?«
    »Pattakos? Was hat Pattakos damit zu tun?«
    »Erinnern Sie sich an seine Worte?« beharrt er.
    »Der hat so viel von sich gegeben, wie soll ich mich da an alles erinnern?«
    »Ich will Ihnen nur eine prophetische Aussage ins Gedächtnis rufen: Hellas gleicht einer gewaltigen Baustelle.«
    »Und warum ist diese Aussage prophetisch? Aufgrund der Olympischen Spiele?«
    »Nein. Weil die Welt einer gewaltigen Börsenblase aufgesessen ist. Von der gewaltigen Baustelle zur gewaltigen Börsenblase, das war doch eine zutreffende Prophezeiung. Pattakos hat recht behalten, und wir haben gesiegt. In dieser gewaltigen Börsenblase ist Che doch bloß eine verkäufliche Ikone. Morgen verkauft sich vielleicht Obristenführer Papadopoulos, übermorgen die andere rote Socke: Mao mit der Baskenmütze. Es hat keine Bedeutung mehr, es sind nur mehr leere Parolen. Denken Sie an die Worte von Christos Kalafatis, der rechten Hand von Major Skouloudis.«
    »Welcher Skouloudis? Der Folterer?«
    Zum ersten Mal kommt er in Rage, und seine Augen drohen aus den Höhlen zu treten. »Der Untersuchungsrichter der Militärpolizei«, verbessert er mich empört. »Na klar, ihr Bullengesocks hattet für uns Militärpolizisten immer nur Verachtung übrig.«
    »Hat er alle drei späteren Selbstmörder verhört?«
    »Ja, und alle waren sie Schlappschwänze«, meint er verächtlich. »Das sage ich nicht, weil sie gegen mich ausgesagt haben. Diese Weichlinge fingen zu jaulen an, wenn man nur die Hand gehoben hat. Nur einer unter ihnen war ein ganzer Kerl, obwohl er mehr als zwanzig Jahre älter war.«
    »Wer?« frage ich, obschon ich die Antwort kenne.
    »Jannelis. Der einzige, der Mumm in den Knochen hatte. Egal, was man mit ihm machte, am Schluß zog man den Hut vor ihm.«
    »Auch er hat sich umgebracht, allerdings früher. Irgendwann Anfang der neunziger Jahre.«
    »Trotz alledem hat er lange durchgehalten.«
    Was will er damit sagen? Mein Instinkt sagt mir, daß in diesem kurzen Satz das Geheimnis verborgen liegt. Doch ich bemühe mich, die Fassung zu bewahren und keine Erregung erkennen zu lassen, da ich fürchte, er könnte Angst bekommen und die Schotten dichtmachen.
    »Wieso sagen Sie das?« frage ich, so ruhig es eben geht.
    »Weil er teurer bezahlt hat als all die anderen. Vielleicht zahlen die Starken immer drauf, wie man’s nimmt. Jedenfalls hat er einen brutalen Schlag einstecken müssen, und es ist ein Wunder, daß er bis in die Neunziger durchgehalten hat.«
    »Was für einen Schlag?«
    »Seine Tochter ist Major Skouloudis’ Frau geworden.«
    Er blickt mich an und ist stolz darauf, daß er mich überrumpeln konnte. Das ist ihm tatsächlich gelungen, nur aus Gründen, von denen er nichts ahnt. Koralia Janneli soll die Ehefrau von Major Skouloudis sein, dem Folterer ihres Vaters? Liegt hierin also das Geheimnis? Ist das der Ariadnefaden, der durch das Labyrinth zum monströsen Minotaurus führt?
    »Wie eine Rosenknospe!« sagt Kalafatis, ganz Bewunderer der alten Schule. »Sie war nicht älter als achtzehn, als sie zum Major kam, um sich nach ihrem Vater und seinem Entlassungsdatum zu erkundigen. Skouloudis konnte sehr charmant sein. Wenn man mit ihm sprach, konnte man sich nicht vorstellen, daß dieser Mensch andere folterte. Innerhalb eines Monats war die Kleine ihm verfallen.«
    »Hat Skouloudis Jannelis von der Beziehung zu seiner Tochter erzählt?«
    »Machen Sie Witze? Das hätte ihm doch den Rest gegeben. Und ich sagte Ihnen doch, der Major hatte Respekt vor Jannelis.«
    »Ich meine, er hätte ihn doch freilassen können«, sage ich
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