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Live!

Live!

Titel: Live!
Autoren: Petros Markaris
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die Verhafteten brachte. So habe ich von der Militärpolizei erfahren. Ich packte eine Tasche mit Kleidern, weil mein Vater nichts hatte mitnehmen können, und ging zur Militärpolizei. Mir wurde mitgeteilt, ich könne mit Major Skouloudis sprechen. Er hat mich sehr freundlich empfangen. Er erklärte mir, daß er meinem Vater die Kleider persönlich aushändigen würde, daß sie ihn zum Verhör festhielten und er nicht wisse, wann er freikommen würde. Aber ich solle keine Angst haben, da es ihm gesundheitlich gutgehe. Wenn ich Fragen hätte oder meinem Vater etwas zukommen lassen wollte, sollte ich mich direkt an ihn wenden.«
    Erneut pausiert sie und blickt mich an. »Vielleicht verstehen Sie auch das, was ich Ihnen jetzt sagen werde. Wenn man sein Leben lang in Angst und Unwissenheit gelebt hat, wenn man mit einem kleineren Bruder allein gelassen wurde und nicht weiß, an welche Tür man klopfen soll, und plötzlich auf jemanden trifft, der sich entgegenkommend verhält und sich bereit erklärt, jederzeit zu helfen, dann wird einen dieser Mensch früher oder später für sich einnehmen. Aber es ist nicht nur das allein. Von unseren Eltern erhielt ich nie Antworten. Skouloudis hatte immer eine Antwort parat, hatte eine Lösung für alle meine Fragen. Nun gut, seine Worte waren Ammenmärchen, aber Ammenmärchen klingen in den Ohren kleiner verschreckter Kinder eben beruhigend.«
    Wiederum stößt sie einen Seufzer aus. »Sie wollen bestimmt nichts trinken?« fragt sie.
    »Nein, danke.«
    »Dann gönne ich mir einen.«
    Sie erhebt sich und tritt aus dem Wohnzimmer. Ich habe in meinem Leben unzählige Befragungen durchgeführt und weiß, wie ein Geständnis zustande kommt: Es sind durch Aufschübe, Verzögerungstaktiken und Kunstpausen verlängerte schwere Geburten. Daher warte ich geduldig, während der Fernseher im Nebenraum weiterläuft. Die Janneli kehrt mit einem Glas Whisky mit Eis in der Hand zurück.
    »Deshalb habe ich mich in meinen späteren Mann verliebt, Herr Kommissar, deshalb habe ich ihn geheiratet. Wegen der Sicherheit, die er mir gab«, sagt sie, sobald sie Platz genommen hat. »Ich war noch nicht volljährig. Keine Ahnung, wie Jagos zu einer Heiratserlaubnis gekommen ist. Wir haben fast ohne Zeugen geheiratet. Ich hatte nur Kimon mitgebracht, Jagos zwei Freunde. Nach der Hochzeit wollte ich meinen Vater sehen. Jagos erklärte mir, es würde weder mir noch ihm selbst guttun, weil seine Ehe mit der Tochter eines inhaftierten Bombenlegers keinem geheuer sei. Da habe ich einen ausführlichen Brief an meinen Vater geschrieben. Darauf habe ich nie eine Antwort erhalten. Auch nicht, als ich ihm noch einmal schrieb.«
    Sie macht noch eine Pause und trinkt einen Schluck von ihrem Whisky. Scheinbar will sie noch einmal tief durchatmen, bevor sie zum schwierigen Teil übergeht. »Die Antwort bekam ich nach dem Ende der Diktatur.«
    Sie steht auf und tritt auf den Vitrinenschrank zu, der an der Wand gegenüber von der Schiebetür steht. Sie nimmt ein zusammengefaltetes Blatt Papier aus einem Schubfach und überreicht es mir. Brief kann man es eigentlich nicht nennen, eher eine Notiz, die auf dem Blatt eines Schulheftes niedergeschrieben wurde.
     
    Du hast mich verraten und den Mann geheiratet, der mich gefoltert hat. Von nun an muß ich mich vor Scham verkriechen. Untersteh dich, zu meinem Begräbnis zu kommen. Du bist nicht mehr meine Tochter. Kimon wird bei mir bleiben. Auch ihn wirst du nicht wiedersehen.
     
    Anstelle einer Unterschrift stehen zwei Buchstaben: Th. Ich gebe der Janneli die Notiz zurück.
    »Unzählige Male habe ich versucht, ihn zu sehen, immer wieder habe ich ihn angerufen. Es hat nichts genützt. Sowohl mein Vater als auch mein Bruder haben jeden Kontakt zu mir abgebrochen.« Sie ist aufgewühlt und atmet tief durch, um sich zu beruhigen. »Als ich die Nachricht von seinem Selbstmord las, forschte ich seine Adresse aus und eilte hin. Mein Bruder öffnete mir die Tür. Er sagte, ich solle verschwinden und es nicht wagen, zum Begräbnis zu kommen, weil er mich mit Fußtritten aus der Kirche jagen würde.«
    »Haben Sie die Notiz, die Ihr Vater Ihnen geschickt hat, Ihrem Mann nicht gezeigt?«
    »Als ich die Nachricht erhielt, war mein Mann nun seinerseits im Gefängnis, Herr Kommissar. Man hatte ihn eine Woche nach der Vereidigung der ersten Regierung Karamanlis verhaftet.«
    »Und danach? Haben Sie keine Erklärung gefordert?«
    Sie lacht bitter auf. »Finden Sie das verwunderlich?«
    »Es
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