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Lisa

Lisa

Titel: Lisa
Autoren: Thomas Glavinic
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Fresse, was für ein groteskes Wort, Kabinenmoped, das klingt schon so nach Demenz und Delirium tremens.
    Also sie haben das Fahrzeug konfisziert, dann hat er sich einfach ein Auto genommen, ein fremdes. Sie haben ihn eingesperrt, aber das hat ihm nicht imponiert, er hat gesagt, er war unter den Ayatollahs so oft eingesperrt, sie können ihm aufs Dach steigen, sie sollen ihm nur mehr zu trinken bringen, vom guten Roten sollen sie ihm bringen, vom feinen Roten, oder er wird sie fertigmachen.
    Er hat die ganze Zeit geschrien, stundenlang hat er geschrien. Nieder mit dem Revolutionsführer! Nieder mit Gerd Müller! Es lebe die konstitutionelle Monarchie! Der Pfauenthron ist Allahs Wille! Der war völlig verrückt.
    Irgendwann haben sie es aufgegeben. Sie haben ihm gesagt, solange er nur zwischen Wirtshaus und Wohnung hinund her fährt und mit niemandem kollidiert, ist es okay. Und er soll sie um alles in der Welt in Ruhe lassen. Das nennt man die Pragmatik der Provinzbullen.
    …
    Der Iran … was?
    Siebzehnjährige Lederschwuchteln aufhängen, das ist echt zuviel. Sieht man ja immer die Bilder. Grausig. So verrückt war der Kabinenmopedperser gar nicht.
    …
    Zurück. Ich muss mich zusammenreißen. Hilgert, da waren wir. Dieser Wahnsinnige hat innerhalb von fünf Wochen dreihunderteinunddreißig DNA-Proben besorgt.
    Bitte hört mir jetzt genau zu. Das müsst ihr euch nämlich vorstellen. Er war allein. Er hatte bloß seinen Wagen und die nötige Ausrüstung, Stäbchen also, und natürlich nicht von der Bockmistfirma. Wir wissen, dass er pro Woche zwischen sechzig und siebzig Leute besucht hat, also etwa zehn am Tag. Er hat sie gefunden und überredet, ihm eine DNA-Probe zu geben.
    Ich kenne die Sturheit der Leute, ich bin sicher, dass so mancher nicht gern eingewilligt hat, Datenschutzgründe und blabla, wobei man sagen muss, dass die meisten Menschen, die sich auf so was berufen, nicht einmal ansatzweise wissen, was Datenschutz heißt.
    Ich glaube, ich bin auch im Bilde, auf welche Weise Hilgert die eine oder andere Zielperson überredet hat, um zu seiner Probe zu kommen. Immerhin wird er sich wohl nicht wie Dschingis Khan aufgeführt haben, denn in der Zeitung habe ich nichts darüber gelesen. Er hatte ja nicht einmal mehr seine Dienstmarke. Vielleicht hatte er eine Doublette, und deswegen haben sich die meisten kooperativ verhalten.Ich weiß es nicht, und es interessiert mich auch nicht. Was geht’s mich an.
    Außerdem, ich bin sein Freund. Wenn ein Freund sich ab und zu nicht unter Kontrolle hat und sich für eine gute Sache ein bisschen energischer einsetzt, soll er deswegen nicht mehr mein Freund sein, soll das der Freundschaft Abbruch tun? Ich weiß doch, dass er ein Guter ist, sonst wäre er gar nicht mein Freund geworden.
    Meine Freunde dürfen so ziemlich alles. Was ist denn Freundschaft? Freundschaft heißt unter anderem, die dunkle Seite des anderen zu akzeptieren. Ich behaupte ja nicht, dass alles daran gut ist. Aber ich habe doch auch eine dunkle Seite, ja wie denn nicht? Man ist nicht nur edel, keiner von uns. Ich erlaube es mir, und ich erlaube es meinen Freunden. Ich will nicht URTEILEN über meine Freunde! Wir urteilen alle zuviel. Ich urteile zuviel.
    …
    Nur weil es mir gerade einfällt, ich stehe ja auch oft zerstreut in der Gegend herum. Wir lachen über die Narren, die sich von einem Zug erwischen lassen. Schleicht da am Bahngleis herum und schwupp. Könnte uns das nicht ebenso passieren?
    Mir schon. Euch nicht?
    Oder ein Auto. Einmal links schauen in England, und zack. Hängt alles von den Umständen ab.
    …
    Hilgert. Mein Kumpel. Und die Proben.
    Nach knapp sechs Wochen fehlen noch einundfünfzig. Von denen schafft er dreiunddreißig in der vierten Woche und sechzehn in der fünften. Die letzten zwei findet er nicht. Die eine hat praktischerweise eine eineiige Zwillingsschwester,also nimmt er deren DNA. Die andere scheint sich irgendwo in Nordamerika aufzuhalten und unter anderem Namen zu leben. Da bittet er einen Polizisten aus Denver um Hilfe, mit dem er einmal zu tun gehabt hat, allerdings nicht beruflich, sondern, nicht lachen, bei der Pudelzucht, Hilgert war nämlich vor zwanzig Jahren Pudelzüchter. Jaja, ich kann mir vorstellen, das finden einige witzig. Jedenfalls, der Amerikaner verspricht zu tun, was er kann.
    Nach einer weiteren Woche meldet sich der Ami. Er sagt, er ist sich ziemlich sicher, dass die vermisste Frau in den Bergen lebt, ich erinnere mich nicht, wie die geheißen
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