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Lisa

Lisa

Titel: Lisa
Autoren: Thomas Glavinic
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durchaus als MILF durchgeht, irgendwie. Nein, schön ist sie nicht, aber der Wahnsinn, der Wahnsinn, irgendwie kann der auch erotisch anziehen.
    …
    Ich weiß nicht. Hat das was zu bedeuten, wenn man ständig Glockenläuten hört? Ein gutes Zeichen ist es sicher nicht.
    In einem Fernandel-Film läutet die Glocke vor der Überschwemmung, nicht? Wieso fällt mir nur der Name des Schauspielers ein, das Pferdegesicht, wieso fällt mir nicht ein, wie die Filme heißen?
    Camillo! Don Camillo und Peppone! Herrlich! Grandios! Die liebe ich! Und wisst ihr, warum wir alle die so gernhaben?Klar, auch wegen der Freundschaft zwischen Camillo und Peppone. Aber vor allem wegen etwas anderem. Na?
    Weil Jesus mit Camillo spricht! Das tröstet uns. Das ist schön. Wenigstens zu irgendjemandem redet er. Das ist, als würde er zu uns allen … ich meine, ich kenne niemanden, mit dem er redet. Redet er mit euch?
    …
    Gott ist der König der Ursuppe.
    …
    Ich war noch einmal duschen, mir geht es jetzt besser. Ausgenüchtert und erfrischt.
    Mehr erfrischt als ausgenüchtert. Ich bin zugekokst bis unters Dach.
    Eine Klimaanlage brauche ich nicht. Abgesehen davon, dass hier auch nie eine eingebaut wird, hier wird nämlich gar nichts mehr eingebaut. Das hier ist Nichts im Niemandsland, und zwar die Mitte davon.
    Schaut her, schaut mich an, ich bin zufrieden.
    Klimaanlagen. Fällt mir gerade ein. Lisa, also das, was wir Lisa nannten und von dem wir dann erfuhren, dass es nicht existiert, hatte einen Ausstellungsraum voller Klimaanlagen ausgeräumt.
    Klimaanlagen. Ich verabscheue sie. Klimaanlagen sind eine Pest. Über alles beschweren sich die Leute, bloß darüber nicht, das nehmen sie hin. Über alles beschweren sie sich, sie beschweren sich über Kinder, die in der U-Bahn zappeln, sie beschweren sich über die Bettler auf den Straßen, sie beschweren sich darüber, dass die Leute im Zug telefonieren, aber die Klimaanlagen regen sie nicht auf.
    Ich glaube, irgendwo in Österreich hat so ein Bauer von einem Bürgermeister sogar durchgesetzt, dass in seinerStadt in den Straßenbahnen nicht telefoniert werden darf. War das in Graz? Ist ja egal.
    Als ob das einen Unterschied macht, ob der, der redet, einen vor sich sitzen hat, mit dem er redet, oder ob der in seinem Telefonhörer drinsitzt. Also was soll das? Das ist schlichtweg eine grundlegende Abneigung gegen die Moderne. Das ist Ressentiment, es ist vor allem ein willkommener Anlass, sich über etwas zu beschweren. Weil die Leute sich immer über etwas aufregen wollen. Vielleicht, damit sie sich nicht über ihr leeres Leben aufregen müssen, in dem nichts geschieht, nichts Unvorhergesehenes, nichts unvorhergesehen Gutes zumindest, allenfalls was unvorhergesehen Schlechtes, und in dem sie ihre Jahrzehnte absitzen, bis der schwarze Charly kommt. Aber warum, frage ich mich, gehen sie nicht auf die Klimaanlagen los?
    Draußen hat es dreißig Grad. Okay. Schalten wir eben die AC ein. Dass sie Viren und Bazillen durch den Raum wirbelt, nehmen wir hin, so eine Sommergrippe ist ja auch eine Abwechslung, nicht wahr, und wenn nur ein Schnupfen daraus wird, umso besser. Stellen wir die AC auf achtzehn Grad. Aber ist es lustig? Ist es wirklich behaglich, bei achtzehn Grad in kurzer Hose und im Hemd dazusitzen? Ich finde ja nicht. Ich würde sie auf zweiundzwanzig stellen. Wenn schon.
    Hilgert übrigens ebenso. Ehe jemand Beckenrandschwimmer ruft, zuhören! Hilgert gleiche Meinung, zweiundzwanzig Grad und keinen Strich darüber oder darunter, und Hilgert ist der härteste Bursche, den ich je gesehen habe.
    So. Und ich gehe jetzt raus an die schöne gute Luft und telefoniere. Darf ich ja, ich bin ja in keiner Grazer Straßenbahn.Ich rufe Hilgert an, und wenn ich den nicht erreiche, rufe ich Bene an, und wenn ich den nicht erreiche, rufe ich Christian an, und wenn ich den nicht erreiche, rufe ich Mike an, und wenn ich gar niemanden erreiche, dann rufe ich Nina an und frage sie, ob sie mit mir schläft. Bis morgen.

 
    8
     
    … fehlten mir die Worte. Ich sage nur, ich habe es nie anders gekannt und nie anders erlebt. Aber das sind die Unterschiede zwischen Erziehung damals und Erziehung heute. Mir hat mein Vater dreimal fast den Schädel eingeschlagen, und meine Mutter hat mich mit Zweigen so verprügelt, dass ich im Sommer wegen der Striemen wochenlang nicht ins Schwimmbad durfte, weil die Nachbarn sonst reden. Mein Bruder, der hat es noch ärger gekriegt, vor allem von ihr. Ich würde mein Kind nie
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