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Lisa

Lisa

Titel: Lisa
Autoren: Thomas Glavinic
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hineingeschickt, die außerordentlich motiviert und neugierig waren, und die hatte er von Anfang an auf seiner Seite.
    Er schickt also Probe um Probe an diese Leute in Linz. Und immer: keine Übereinstimmung. Keine Lisa. Auch die Frau aus Übersee, deren Probe er heldenmütig aus dem Haus am Grand Canyon errafft hat, nichts. Es war natürlich nicht der Grand Canyon, ihr versteht schon.
    Die Proben. Er hat alle. Bis auf die der Toten. Drei waren ja tot.
    …
    Ich war zum Auslüften draußen, es regnet, hört ihr das? Habe die Fenster offen, denn wenn es so schüttet, fliegt draußen nichts rum an Blutsaugern. Und dann musste ich ein paar Liegestütze machen. Erstens bin ich halb ohnmächtig vor Benommenheit und muss mich ungeheuer anstrengen, um fokussiert denken zu können, und zweitens tut mir der Rücken weh von diesen gekrümmten Nachtsitzungen. Jesus!
    Habt ihr gehört, blöder Regenschirm, ist umgefallen. Die Metallbeschläge am Griff.
    Lustig, ich glaube, die ganze Welt hasst Regenschirme.
    …
    Hilgert hat das ganze Material, bis auf das der Toten. Erwill sichergehen. Die Verstorbenen hatten Kinder, und über die kriegt er sein Material zusammen. Was genau und wie genau, keine Ahnung, mir einerlei, ich muss nicht alles im Detail wissen. Und wenn er wieder etwas Illegales gemacht hat, umso weniger.
    Legalität ist relativ. Wer das nicht glaubt, soll mal über sein Verhalten im Straßenverkehr nachdenken. Da fängt es an.
    Nur der Vollständigkeit halber möchte ich es erwähnt haben: Sollte jemand argwöhnisch werden, ob Hilgert da etwas manipuliert hat, um eine Fremdtheorie ins Wanken zu bringen, den kann ich gleich beruhigen. So ist der nicht. Eine unbequeme Wahrheit hätte er hingenommen. Zumindest gelogen hätte er nie und nimmer. Ich sage es bloß, weil es mir gerade einfiel. Glaubt nicht, ich hätte mir nicht auch solche Gedanken gemacht – aber ich weiß zu viel über ihn und über das, was in jenen Wochen geschah. Der Mann ist ein Berserker, ein Besessener, doch er ist kein Betrüger.
    Hilgert. Der lebt nicht das Leben eines anderen.
    Versteht ihr, so viele Menschen versuchen Leben zu leben, von denen sie schon gehört haben. Die sie schon kennen und als unbedenklich zertifiziert bekommen haben. Sie alle sind fremdbestimmt, mehr oder weniger. Hilgert nicht. Das ist der am wenigsten fremdbestimmte Mensch, den ich je getroffen habe. Das ist es wohl auch, was mich an ihm so fasziniert, dieses Ringen mit sich selbst, das er auf sich genommen hat.
    Fasle ich? Na gut.
    …
    Also. Er kriegt die drei Restproben. Und keine Lisa dabei. Doch er wäre nicht er, wenn ihm diese sechsundzwanzig, die auszuschließen waren, nicht Kopfzerbrechen bereitethätten. Er will ganz sichergehen. Er holt sich ihre Proben innerhalb von VIER TAGEN. Und dann ist es klar.
    Keine der Angestellten in dieser Firma ist Lisa. Die Theorie, die der Neue mitgebracht und mit der er die SOKO aufgelöst hat, ist falsch.
    …
    Hilgert. Wo der wohl gerade ist?
    Ich glaube, ich muss da noch etwas zurechtrücken, was ich über ihn gesagt habe. Der war nicht ausländerfeindlich. Der hatte viel mit Kriminellen zu tun, die aus dem Ausland stammten, aber das hat ihn zum Beispiel nicht daran gehindert, einen Freund aus China zu haben, der oft bei ihm rumhing. Das war witzig, oft, wenn ich zu ihm gekommen bin, habe ich schon auf dem Gang diese gutturalen Chinesenlaute gehört, uooooh, uooooh, das hieß ja, ja.
    Chang heißt der. Der kann dreißig Strohhalme zur gleichen Zeit in den Mund stecken. Hat das pervers ausgesehen. So ein aufgerissenes Maul, ääääähhh. Immer wenn er besoffen ist, fängt er damit an, will er es beweisen, obwohl von uns niemand angezweifelt hat, dass er es kann.
    Einmal hat er es mit Zigaretten gemacht. Mit brennenden. Dann hat er husten müssen, und den Rest erzähle ich lieber nicht, es war wirklich schauderhaft, der Arme. Das war der Abend, an dem Hilgert und ich ihn nach Hause tragen mussten, weil er zuviel Schnaps getrunken hatte.
    Der wohnt in einer Art Scheune. Nein, es ist eine Wohnung, aber er hält sich Hühner. In Käfigen, ich schaue immer gleich weg. Einige marschieren allerdings auch im Vorzimmer herum. Dann kommt seine Frau, uoooooh, uooooh, ooooh, uooooh …
    Und Ausländerfeindlichkeit, eine Freundin wohnt inSüdfrankreich und hat ständig Ärger mit jungen Arabern. Anziehen wie hier kann sie sich dort nie und nimmer. Wenn sie hier bei uns von jemandem blöd angequatscht wird, sagt sie: Verpiss dich, und es
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