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Linna singt

Linna singt

Titel: Linna singt
Autoren: Bettina Belitz
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Maggie mich in bester Lehrerinnenmanier zur Vernunft zu bringen. »Er ist nicht der Gitarrist! Das ist nicht unser Gitarrist.« Für den Bruchteil einer Sekunde huscht ein Grinsen über ihr Gesicht. Oh, Scheiße, jetzt weiß sie es. Sie weiß, warum ich fahren will. Sie hat es kapiert.
    »Bin ich nicht«, bestätigt der Typ kleinlaut. »Ehrlich nicht.«
    »Wer ist er dann?«, frage ich Maggie. Ich schreie nicht mehr, aber mein Herz rast. Mein Körper will kämpfen. »Dein Lover?«
    Maggie zuckt zusammen. Nun bin ich diejenige, die feixen muss, obwohl ich innerlich noch tobe. Zum ersten Mal gucke ich den Typen direkt an. »Auf alten Pferden lernt man reiten, was?«
    »Boah, bist du ordinär … Ich dachte, das hätte sich gebessert.« Maggie senkt die Lider und beißt sich auf die Unterlippe, bevor sie weiterspricht. »Echt peinlich, dein Benehmen. Er ist nicht mein Lover, er ist – so was wie unser Roadie.«
    »Seit wann haben wir einen Roadie? Und warum muss er bei unseren Proben dabei sein? Unser Auftritt ist im Spätsommer, es reicht, wenn er sich ein paar Tage vorher mit uns abspricht!«
    Der Typ wischt sich die Hände an seinen verwaschenen Jeans ab – wahrscheinlich sind sie feucht vor Nervosität –, steht auf und umrundet zögerlich den Couchtisch. »Hallo. Ich bin Tobias. Tobi.«
    Erneut mustere ich ihn flüchtig. Ja, ein Welpe. Älter als zwanzig kann er nicht sein. Prädikat: niedlich. Er wagt es kaum, meinen Blick zu erwidern, doch ich sehe, wie seine Augen über meine Taille und meine Oberschenkel huschen. Plötzlich hab ich ein Déjà-vu, ein Déjà-vu mit Geruch. Ich rieche Dinge, die ich eigentlich gar nicht mehr riechen kann, jetzt ist es Zigarettenrauch in klarer Herbstluft, dazu ein leichtes Bieraroma, ja, ausgelaufenes Bier, außerdem Tau auf einer Wiese, Holzfeuer, das Metall meines Mikros … mein Mikro … Unwillkürlich atme ich tief durch die Nase ein, doch das Déjà-vu hat sich verflüchtigt. Alles fort.
    »Ich hab euch doch schon ein paarmal geholfen«, murmelt Tobias unterwürfig und tapst noch einen unsicheren Schritt auf mich zu. »Vor sechs Jahren. Beim Altstadtfest und beim Brezelfest, weißt du nicht mehr?«
    »Nein. Nein, weiß ich nicht. Uns haben viele Leute geholfen.« Irgendjemand hat sich immer aufgedrängt, schwere Verstärkerboxen zu schleppen oder Mikroständer abzubauen, meistens jüngere Schüler mit Rockstarfantasien, die hofften, auf diesem Weg in unsere Band zu kommen. Für mich waren es Kinder. Wenn er jene Abende meint, an die ich denke, hatte ich sowieso nur Augen für Falk. »Und du kannst dich daran erinnern?« Ich blicke Maggie rätselnd an.
    »Nein. Doch. Ein bisschen.« Sie wedelt ungeduldig mit den Händen. »Ist doch egal. Tobi macht momentan sein freiwilliges Jahr in der Stadtverwaltung, Mädchen für alles, und da haben wir uns bei einer Mugge in der Gotischen Kapelle wiedergetroffen beziehungsweise kennengelernt und … Ich erklär es später.«
    Wann später? Wenn ich endlich erfahre, wer Gitarre spielt? Ich will nicht darauf warten, aber fragen will ich auch nicht, ich hab keinen Bock mehr auf dieses Kasperletheater. Sie können sich ja an Instrumentalmusik versuchen und Tobi poliert derweil Maggies Keyboard, wenn ihm das so wichtig ist.
    »Linna, hau nicht ab, wir kriegen den Gig nur, wenn du singst, sie wollen vor allem dich, geh nicht …«
    Maggies Stimme bebt verräterisch. Oh, bitte, nicht weinen. Wie ich das hasse, wenn andere wegen mir heulen.
    »Ich will nur einen Moment an die frische Luft! Okay?«
    Ich schaue sie nicht an, ich möchte nicht die Tränen in ihren Augen sehen, es ist nicht fair, dass sie das tut. Eben noch betont sie, wie erwachsen wir doch seien, und nun weint sie wie ein kleines Kind. Hofft sie immer noch, dass Jules irgendwann eine Erleuchtung hat und meint, sie wäre die Frau seines Lebens? Das muss der Grund sein, weshalb sie unser Wiedersehen inszeniert hat. Ich kann es ihr nicht nehmen. Ich habe ihr die Band schon mal genommen, ein zweites Mal darf ich es nicht.
    Wieder flimmert alles um mich herum, als ich aus dem Wohnzimmer laufe und den kleinen Flur ansteuere, die Welt wackelt, erzittert bei jedem neuen Schritt, ich möchte, dass sie stehen bleibt … dass … ich … Ein Schlag gegen meine Knie bremst mich abrupt, sodass ich beinahe ins Torkeln gerate. Nur ein gewagter Sprung zur Seite rettet mich davor, zu stolpern und der Länge nach hinzuschlagen. Was ist denn das? Kalte, feuchte Luft streift mein Gesicht, als ich
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