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Die verborgenen Fruechte

Die verborgenen Fruechte

Titel: Die verborgenen Fruechte
Autoren: Anaïs Nin
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Vorwort
    Es ist eine interessante Tatsache, daß nur sehr wenige Schriftsteller aus eigenem Antrieb erotische Erzählungen oder Bekenntnisse niedergeschrieben haben. Sogar in Frankreich, wo die Erotik angeblich eine so wichtige Rolle spielt, sahen sich die Autoren, die so etwas doch taten, lediglich von der Not dazu gezwungen – der Geldnot.
    Die Erotik im Rahmen eines Romans oder einer Erzählung zu Wort kommen zu lassen, ist eines; sich ausschließlich mit ihr zu beschäftigen jedoch etwas ganz anderes. Ersteres ist wie das Leben selbst. Es ist, möchte ich sagen, etwas Natürliches, Aufrichtiges, wie in den sinnlichen Passagen bei Zola oder Lawrence. Sich aber ausschließlich auf die Sexualität zu konzentrieren, ist unnatürlich. Das gleicht dann etwa dem Leben einer Prostituierten, einer anomalen Betätigung also, aufgrund derer sich die Prostituierte schließlich von der Sexualität abkehrt. Vielleicht ist den Schriftstellern das bekannt. Und vielleicht haben sie deshalb, wie auch Mark Twain, nur gerade ein Bekenntnis, höchstens ein paar Erzählungen geschrieben, um auf diese Weise ihre Aufrichtigkeit den Dingen des Lebens gegenüber unter Beweis zu stellen.
    Doch was geschieht mit einer Gruppe von Schriftstellern, die so dringend Geld benötigen, daß sie sich ausschließlich der Erotik widmen? Wie wirkt sich diese Tatsache auf ihr Leben, auf ihre Einstellung der Welt gegenüber, auf ihre Arbeit aus? Wie wirkt es sich auf ihr Sexualleben aus? Dabei muß ich zunächst erklären, daß ich die Beichtmutter einer derartigen Gruppe war. In New York ist alles stets härter, grausamer als anderswo. Ich mußte mich um viele Menschen, um viele Probleme kümmern, und da ich im Wesen sehr stark George Sand ähnelte, die ganze Nächte hindurch schrieb, um ihre Kinder, Liebhaber und Freunde versorgen zu können, mußte ich unbedingt Arbeit finden. So wurde ich, was ich als »Madame« eines ungewöhnlichen Hauses literarischer Prostitution bezeichnen möchte. Es war eine überaus künstlerisch ausgestattete maison, muß ich sagen, ein einziger Raum, ein Atelier mit Oberlichtfenstern, die ich derart bemalte, daß sie wie Fenster einer heidnischen Kathedrale wirkten.
    Bevor ich meinen Beruf ergriff, galt ich als Dichterin, als eine unabhängige Frau, die nur zu ihrem Vergnügen schrieb. Es kamen viele junge Schriftsteller und Dichter zu mir. So unterschiedlich sie in ihrem Wesen, ihren Neigungen, Gewohnheiten und Lastern auch waren, eines hatten sie alle gemeinsam: Sie waren arm. Verzweifelt arm. Nicht selten verwandelten sie meine maison in ein Kaffeehaus, das sie hungrig, schweigend aufsuchten, und dann aßen wir Haferflocken, weil das am billigsten war und man behauptete, es mache stark.
    Die meisten Erotika wurden mit leerem Magen geschrieben. Nun wird durch den Hunger in hohem Maße die Phantasie angeregt; er produziert keine sexuellen Kräfte, und die sexuellen Kräfte produzieren keine außergewöhnlichen Erlebnisse. Je größer der Hunger, desto größer das Verlangen – wie bei Gefangenen, wild und quälend. Daher lebten wir in einer für das Gedeihen der Blume Erotik absolut perfekten Welt. Gewiß, wenn man zu lange hungert, wird man zum Tramp. Die Männer, die entlang des East River, an der Bowery in Hauseingängen schlafen, haben, wie es heißt, überhaupt kein Geschlechtsleben. Diesen Zustand jedoch hatten meine Schriftsteller – obwohl einige von ihnen an der Bowery wohnten – bisher noch nicht erreicht.
    Und ich – ich hatte meine richtige schriftstellerische Arbeit aufgegeben, als ich mich auf die Suche nach der Erotik machte. Dies sind nun meine Abenteuer in jener Welt der »Prostitution«. Sie aus mir herauszuholen, war anfangs nicht leicht. Denn das Geschlechtsleben liegt bei uns allen – den Dichtern, Schriftstellern, Malern – unter vielen Schichten verborgen. Es gleicht einer verschleierten Frau: halb erträumt.

Kleine Vögel



Manuel und seine Frau waren arm, daher fanden sie, als sie in Paris eine Wohnung suchten, nur zwei finstere Zimmer im Souterrain, die auf einen kleinen, luftlosen Hinterhof hinausgingen. Manuel war traurig darüber, denn er war Maler und hatte hier kein richtiges Licht für seine Arbeit. Seiner Frau war es gleichgültig; sie ging jeden Tag in den Zirkus, um ihre Trapeznummer zu trainieren.
    In diesen dunklen, halb unterirdischen Räumen bekam sein gesamtes Leben den Anstrich einer Gefangenschaft. Das Concierge-Ehepaar war steinalt, und die Mieter hatten anscheinend
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