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Linna singt

Linna singt

Titel: Linna singt
Autoren: Bettina Belitz
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Verkloppst du wieder Menschen?«
    Am Mülltonnen-Haus ist die Außenbeleuchtung angesprungen. Die dicke Frau hat neuen Mut geschöpft. Wenn ich nicht sofort aussteige und die Tonnen wieder aufstelle, wird sie herauskommen und mir eine Szene machen.
    »Nein. Ich bin … ich bin ein paar Tage weg. Unterwegs. Bei ein paar Leuten, die ich von früher kenne.«
    »Okay.«
    Martin fragt nicht nach, wo ich bin und wer diese Leute sind. Das ist es, was unsere Freundschaft ausmacht. Wir reden nur über die Arbeit und Sport. Keine Privatgespräche. Wir sitzen ein- bis zweimal im Monat in seiner bilderlosen Katalogwohnung, essen Tiefkühlpizza und schauen Fußball oder Boxen. Und wenn er Getränke holt, kriege ich einen Kasten gratis, samt Lieferdienst. Das ist alles.
    »Martin …« Ich habe die Fahrertür schon geöffnet und mein linkes Bein hinausgeschoben, zögere aber einen Moment. »Sind Nachrichten auf meinem AB? Kannst du sie schnell abhören?«
    »Klar, warte kurz …«
    Mit dem Handy am Ohr steige ich aus, umrunde das Auto und stemme mit dem Ellenbogen die erste Mülltonne nach oben. Ein paar Papiere kleben auf dem feuchten Asphalt, doch ich klaube nur die Werbeblättchen zusammen, die auf meiner Motorhaube liegen. Der Griff der Biotonne rutscht schleimig unter meinen Fingern weg, wahrscheinlich stinkt sie bestialisch. Angewidert wische ich meine Hand an meiner Jeans ab.
    »Keine neue Nachricht«, meldet Martin sich wieder. »Nur …« Er zögert.
    »Was ›nur‹?«, hake ich nach.
    »Na ja, jemand – jemand hat angerufen und … geseufzt. Und dann aufgelegt.«
    »Martin, ich muss Schluss machen, es wird kalt hier draußen und die anderen warten auf mich. Bis bald.«
    Bevor er Tschüs sagen kann, beende ich das Gespräch und lasse das Handy in meine Jackentasche gleiten. Ein Seufzen. Das war sie. Natürlich war sie das. Das ist ihre Spezialität. Anrufen. Seufzen. Auflegen. Aber ich bin nicht zu Hause. Ich bin ausnahmsweise nicht zu Hause, ich habe keine Ahnung von diesem Seufzen, ich habe es nicht gehört, obwohl ich genau weiß, wie es klingt. Mein Gehirn kann es sofort abrufen, in jedem Augenblick meines Lebens. Selbst in den glücklichen.
    »Linna? Willst du nicht mal reinkommen?«
    Oh, Shit … Maggie. Sie steht in der Haustür – wie lange schon, weiß ich nicht. In ihrer Stimme schwingt ein kaum hörbares Schrillen mit. Hat sie Angst, dass ich es mir anders überlege? Oder reicht meine bloße Gegenwart aus, um von Neuem ihre Fassungslosigkeit auszulösen, mit der sie mir bei unserer letzten Begegnung ins Gesicht schrie? »Warum tust du das, Linna, warum? Es war doch alles perfekt! Warum machst du es kaputt?«
    Ohne Eile schlendere ich zum Kofferraum, unschlüssig, was ich mit ins Haus nehmen soll. Ich weiß schließlich nicht, ob ich bleibe, ich könnte auch im Auto pennen. Es muss ja kein Hotel sein.
    »Mensch, Linna«, ruft Maggie über die Straße. »Brauchst du eine Extraeinladung?«
    Ich antworte nicht. Auf eine solche Frage ist jede Antwort eine blöde Antwort.
    »Ich lass die Tür angelehnt, okay?«
    Wieder antworte ich nicht, sondern stelle mich mit dem Rücken zum Haus und rolle ein letztes Mal unser altes Bandplakat auf, das ich vorgestern aus meiner Erinnerungskiste gefischt und kurz vor der Abreise in meinen Kofferraum gelegt habe. Ich muss grinsen, als ich es betrachte, doch meine Lippen verspannen sich in der abendlichen Kälte. Ja, das waren wir … »Linna singt« prangt in fetten, geraden Lettern über unseren Köpfen. Unten, auf dem schlampig aufgeklebten Waschzettel, ein knapper Hinweis auf die Veranstaltung. »Altstadtfest Speyer, Domwiese am Heidentürmchen, 8. September 2006, ab 21 Uhr. Eintritt frei!«
    Linna singt. Eine Idee von Simon und geboren aus der Not, weil anfangs ständig die Besetzung wechselte. Aber immer sang ich.
    Mit der Rechten halte ich das Plakat unauffällig in den Schein der Straßenlampe, um uns fünf besser erkennen zu können. Viel Fantasie hatten wir nicht gehabt und der Fotograf ebenso wenig, er hatte uns ganz klassisch nebeneinander vor die versiffte Wand gegenüber dem Café Durchbruch gestellt und abgelichtet, ohne Schnörkel. Einzige Bedingung: Niemand durfte lachen. Was uns leidlich schwerfiel, weil Jules ständig irgendeinen doofen Witz riss, der unseren Rockmusikerernst zunichtemachte – bis der Fotograf damit drohte, das Honorar zu verdoppeln, wenn wir uns nicht bald in den Griff bekämen. Meine Haare waren damals noch kürzer, gingen mir nur bis zur
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