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Tuch und Tod (Ein Berringer-Krimi) (German Edition)

Tuch und Tod (Ein Berringer-Krimi) (German Edition)

Titel: Tuch und Tod (Ein Berringer-Krimi) (German Edition)
Autoren: Alfred Bekker
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Prolog
     
    November …
    Nebel liegt über der Tiefebene des Niederrheins. Wäre er nicht, könnte man bis Krefeld sehen. So aber reicht der Blick nur bis zu einem etwas windschiefen Kirchturm, dessen Spitze die grauen Nebelschwaden durchbohrt. Ein mahnendes Fanal, das ein von dunklen, melancholischen Geistern beherrschtes Land überragt.
    Das Krächzen eines Raben, der in einem der blattlosen Äste eines knorrigen, vom Blitz getroffenen Baumes hockt, mischt sich mit dem metallischen Ratschen einer Waffe, die durchgeladen wird.
    Es ist lausig kalt, aber fast windstill.
    Letzteres ist selten in der Gegend und wirkt beinahe so, als hielte die Natur den Atem an, als würde sie die Konzentration des Jägers vor dem Schuss teilen.
    Die Waffe wird angelegt, das Zielfernrohr justiert.
    Im Fadenkreuz befindet sich das Gesicht eines Menschen. Man sieht sogar, dass es grinst. Ein Grinsen, das im krassen Gegensatz zur Melancholie der Landschaft steht. Noch ahnt der Mann, zu dem dieses Gesicht gehört, nichts davon, dass er zur Zielscheibe geworden ist.
    Der Finger legt sich um den Abzug.
    Krümmt sich.
    Verstärkt den Druck.
    Es ist so leicht.
    Das Fadenkreuz liegt genau zwischen den Augen.
    Der Druckpunkt wird überschritten.
    Eine Melone zerplatzt.
    Ein paar Reste hängen noch an der Nylonschnur, deren oberes Ende um einen Ast geknotet worden ist.
    Das Fadenkreuz schwenkt nach links, zur zweiten Melone, auf die das Foto eines anderen Mannes geklebt wurde. Der Rabe fliegt krächzend davon. Die zweite Melone schwingt etwas hin und her. Der Schuss trifft sie trotzdem.
    Training ist eben alles!
     
     
    Dezember …
    Ein Schrei, der Entschlossenheit demonstrieren soll. Die Hand trifft auf die Spanplatte auf und zuckt zurück.
    Ein weiterer Schrei folgt – diesmal vor Schmerz.
    „ Wo sind Sie mit Ihren Gedanken?“
    „ So ein verdammter Mist!“
    „ Wir machen hier Kampfsport! Wenn Sie mit Ihren Gedanken nicht richtig dabei sind, kann das gefährlich werden.“
    „ Ja, ja …“
    „ Und einen Bruchtest sollte man dann schon gar nicht machen! Das habe ich Ihnen aber gesagt!“
    „ Ah, meine Hand …“
    „ Legen Sie ein Kühl-Pack drauf. Und dann machen Sie erst einmal eine Pause.“
    „ Okay.“
    „ Wenn Sie zuschlagen, haben Sie eine Wut, als wollten Sie jemanden umbringen – aber Sie vergessen dann alles, was ich Ihnen gesagt habe – und dann tut’s halt weh! Es geht um Konzentration! Um die Bündelung aller Kräfte - und dazu reicht es nicht, wenn nur die Muskeln fit sind. Das Oberstübchen muss auch mitmachen!“
     
     
    Januar …
    Peter Gerath ließ das Pferd – eine ruhige Island-Stute – den aufgeweichten Feldweg entlangtraben. Es hatte am Vortag geregnet, und die Wege waren entsprechend nass. Die Hufe sanken manchmal ein paar Zentimeter in den Schlamm, und wenn er das Tier durch eine Pfütze preschen ließ, spritzte es hoch auf. Das Wetter war von einem Tag zum anderen vollkommen umgeschlagen, am Tag zuvor noch nasskalt und durchwachsen, an diesem schwitzte Peter Gerath bereits in seiner gefütterten Reiterweste, und es sah nach einem der ersten wirklich schönen Tage des Jahres aus.
    Gerath zügelte das Pferd, streckte sich im Sattel und ließ den Blick schweifen. Die Landschaft war durch Hecken, Büsche, kleine Baumgruppen und Wäldchen geprägt. Dazwischen lagen kleinere Siedlungen oder Gehöfte. Die Wege waren gut in Schuss und wurden wenig frequentiert. Ein Paradies für jemanden, der allein ausreiten und mit sich, seinem Pferd und der Welt allein sein wollte.
    Im Südwesten konnte man die ersten Häuser von Münchheide sehen und aus dem Norden klang ein beständiges Rauschen herüber. Das war die A44.
    Dahinter begann das Stadtgebiet von Krefeld, und die Tatsache, dass er die Autobahn hören konnte, sagte Gerath, dass er bereits zu weit nach Norden geritten war.
    Es war nicht das erste Mal, dass er auf dem Rücken dieser ruhigen Stute, die auf den Namen Laura hörte, förmlich Raum und Zeit vergaß. Selbst sein Handy nahm Peter Gerath auf diese Ausritte, die er sich in schöner Regelmäßigkeit einmal in der Woche gönnte, nicht mit. Die Maschinen seiner Firma Avlar Tex mochten rund um die Uhr und ohne Pause laufen – ihr Besitzer gönnte sich den Luxus, zwei bis drei Stunden jeden Sonntagmorgen für sich zu reservieren. Das musste einfach sein. Die Zeit war noch knapp genug bemessen, um die mentalen Batterien wieder aufzuladen.
    Peter Gerath sog die noch kühle Luft in sich ein.
    Mitte fünfzig
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