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Linna singt

Linna singt

Titel: Linna singt
Autoren: Bettina Belitz
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aufgerissen wie bei einem weinenden Baby, und dann ihre Faust, die auf mich zuschnellt, sie hat geschrien dabei, weil sie eigentlich gar keine Kraft mehr hatte; ich hatte sie zermürbt. Ich bin nicht ausgewichen, sondern hab sie schlagen lassen, mit voller Wucht, viel Power hatte sie ohnehin nicht mehr. Sie war so erstaunt, dass sie kurz innehielt, und genau das war ihr Verderben. Ich hab ihre Nase in Matsch verwandelt. Sie gab auf.
    Danach hab ich still dagestanden, innerlich geglättet wie das Meer nach einem schweren Sturm, und kostete mit der Zungenspitze das Blut, das aus der kleinen Platzwunde an meiner Schläfe tropfte und über meinen Wangenknochen lief, warm und weich.
    Automatisch schüttele ich meine Beine aus, wie ich es in den letzten Sekunden vor einem Kampf tue, und atme tief aus. Wenn Maggie hier ist, ist auch Simon da. Simon muss da sein. Er ist ihr Zwillingsbruder und ein Bass ist für eine Band unverzichtbar. Nein, Simon ist unverzichtbar. Er war unser Ruhepol, unser friedlicher Punk mit den Strahleaugen, dunkelblau wie ein Gebirgssee. An ihm prallte alles ab. Er war ein Buddha, stets heiter, auf eine unaufdringliche, schüchterne Art, es lag in seinem Wesen. Wenn Maggie sich nicht ständig zwischen uns gedrängt und ihren Bruder vor mir zu beschützen versucht hätte, hätten wir viel mehr Zeit miteinander verbracht. Dabei hat Maggie sich mit ihrem ständigen Glucken ein Eigentor geschossen. Sie trieb mich zu Jules und Jules war doch der, den sie Tag und Nacht anbetete, und da befand sie sich in bester Gesellschaft. Beinahe jedes Mädchen betete Jules an. Irgendeine von ihnen hatte ihm schließlich seinen Namen gegeben. Jules statt Julian, weil es cooler klingt, fremd und aufregend. Dschuhls. Jules mit seinen lässigen Hüten, dem Dreitagebart und den Drumsticks in der linken hinteren Hosentasche.
    Sie schrieben ihm parfümierte Briefe, hinterließen Nachrichten auf seiner Bank im Klassenzimmer, widmeten ihm eine Extraseite in der Schülerzeitung, auf der er dargestellt wurde, als sei er bereits ein Filmstar. Maggie war all diesen Mädchen um eines voraus: Sie spielte und sang mit Jules in einer Band. Das war ihr Triumph. Sie hatte ihn mir zu verdanken, denn ohne mich wäre Jules niemals in die Band gekommen. Ich hatte ihn ganz normal gefragt, ob er bei uns einsteige, ohne Kichern und Rotwerden und Wimpernblinkern, und er hatte ganz normal »Ja, klar« gesagt. Maggie hätte das nicht fertiggebracht. Nur durch mich konnte sie zusammen mit ihm auf der Bühne stehen, während die anderen Mädels ihn aus dem Publikum anhimmeln mussten.
    Sosehr ich Jules mochte, fair war es nicht, wie er mit Maggie umsprang. Mal machte er ihr schöne Augen und ließ seinen Charme spielen, dann wieder ignorierte er sie, als existiere sie gar nicht. Er hätte sie haben können, jederzeit, aber er hat nie Ernst gemacht. Also wollte er sie nicht.
    Ich drehe den Schlüssel, drücke die Klinke hinunter und ziehe die Klotür auf. Auf leisen Sohlen nehme ich den direkten Weg zur Küche, schaue gar nicht erst ins Wohnzimmer, obwohl Licht brennt und der Fernseher läuft. Auf die Küche habe ich mich die ganze Autofahrt über gefreut, obwohl ich mir gar nicht sicher war, dass ich dieses Haus betreten würde. Ich mag die Küche von Jules’ Eltern. Sie ist ganz anders als unsere Küche, mit einem runden Tisch, keinem eckigen. Es ist ein Unterschied wie Tag und Nacht, ob man an einem runden oder an einem eckigen Tisch beisammensitzt. Ich saß hier gerne. Es war gemütlich. Nicht so wie zu Hause, wo sie sich immer mitten in den Durchzug postiert, anstatt sich endlich mal auf Papas Stuhl zu setzen. Nein, sie tut es nicht, als wolle sie extra betonen, dass er nicht da ist. Lieber nimmt sie den Büßerplatz ein und quetscht sich zwischen Tischkante und Schrank. Hauptsache, es wird nicht zu bequem und jeder kann auf den ersten Blick sehen, dass ein Mensch fehlt.
    Doch ich habe mich umsonst gefreut. Der runde Tisch in Jules’ Küche ist nicht mehr da. Seine Eltern müssen renoviert haben. Sie haben die komplette alte Kochzeile herausgerissen. Jetzt strahlen mir weiße Hochglanzflächen mit gebürsteten Edelstahlgriffen entgegen und statt des runden Tisches windet sich eine Bar in den Raum. Jules sitzt mit dem Rücken zu mir an diesem Tresen, das Handy am Ohr. Er trägt keinen Hut. Ich kann es kaum glauben. Kein Hut?
    Auch Maggie wendet mir den Rücken zu. Sie steht an der Spüle und putzt einen Salatkopf. Das Heimchen am
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