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Linna singt

Linna singt

Titel: Linna singt
Autoren: Bettina Belitz
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Grund, sich wie ein Vertreter zu gebaren, auch wenn er einer ist. Was ich immer noch nicht glauben kann. Unser gesamtes Bühnenbild, unsere Choreografien, manchmal sogar unser Outfit hatten in Jules’ Händen gelegen. Manchmal kamen wir zwei Stunden vor dem Auftritt an unsere Location und er hatte bereits den ganzen Nachmittag geschuftet, um Licht und Leinwand zu installieren und uns einen optischen Background und eine Lightshow zu geben, wie sie sonst nur Stars haben. Sein Taschengeld investierte er in unsere Technik, ja, er jobbte sogar extra, um uns diese gigantische Leinwand zu finanzieren, auf der seine selbst gebastelten Clips liefen. Obwohl wir wie Diebe coverten und nie selbst komponierte Songs spielten, hatten wir unsere eigenen Videoclips. Das musste uns erst einmal jemand nachmachen. Und nun konzentriert er sich auf blaue Ersatzflüssigkeiten und Flügelchen mit Extranässeschutz für die Nacht.
    »Glotz ihn nicht so an«, reißt Maggie mich aus meinen Gedanken. »Er arbeitet.«
    Jules wirkt immer verspannter auf mich. Er hat jemanden im Nacken sitzen und er ist so beflissen, es diesem Idioten am anderen Ende der Leitung recht zu machen, dass ich nicht mehr hingucken kann. Ich öffne den Kühlschrank, angele mir ein Bier, haue an der Tischkante den Deckel ab und nehme einen tiefen Schluck. Maggie wischt missbilligend über die Stelle, an der ich den Kronkorken herausgehebelt habe.
    »Es hat sich wirklich nichts verändert«, flüstert sie wie zu sich selbst. Sie sollte sich mal mit Mutter treffen, dann könnten die beiden einen Wettbewerb der Subtexte und vermeintlich unabsichtlich ausgestoßenen Seufzer veranstalten. Eine beherrscht es besser als die andere.
    »Müssen wir das essen oder gibt es noch etwas Richtiges?« Mit der Bierflasche deute ich auf den Salat, der gerade unter einer dicken Schicht Fetawürfel erschlafft.
    »Simon bringt Pizza mit. Und dann reden wir«, erwidert Maggie knapp.
    »Oh. Wir reden. Ich hab schon Angst.« Ich ziehe ein zweites Bier aus dem Kühlschrank, öffne es demonstrativ mit dem dafür vorgesehenen Werkzeug und bringe es Jules, der es dankbar entgegennimmt, aber nicht daraus trinkt, sondern es an seine Wange hält, als habe er Fieber und müsse seine Temperatur herunterkühlen.
    Verdammt noch mal, wann erfahre ich endlich, wer die Gitarre übernimmt?
    »Maggie? Da stimmt was mit der Fernbedienung nicht!«
    Ich erstarre. Diese Stimme kenne ich nicht. Sie kommt aus dem Wohnzimmer – jemand Fremdes sitzt da, schon die ganze Zeit! Hat sie etwa irgendeinen Aushilfsgitarristen aus ihren durchlauchten Kammerorchesterkreisen engagiert, weil Falk keinen Bock hatte? Obwohl ich keine Eile in meine Schritte lege, habe ich das Gefühl, dass die Welt um mich herum wackelt, als ich hinüber ins Wohnzimmer gehe, wo ein mir unbekannter Kerl auf dem Sofa lümmelt und auf der Fernbedienung herumdrückt. Ich bleibe abrupt stehen. Maggie, die mir gefolgt ist, fällt beinahe über mich drüber und muss sich an meinem Arm festkrallen, um ihr Gleichgewicht wiederzufinden.
    »Ach, das wollte ich dir noch sagen, Linna, hab’s vergessen, das hier ist Tobias und …«
    »Nein.« Mein Tonfall ist so frostig, dass Maggie auf einen Schlag verstummt. »Nein, ich will ihn nicht. Keinen neuen Gitarristen. Dazu hab ich keine Lust. Entweder einen von unseren oder keinen. Ich fahr wieder.«
    Der Typ guckt mich erschrocken und neugierig zugleich an, ohne etwas zu sagen; eigentlich ist er ganz hübsch, einer von der Sorte Jungs, der man schlecht böse sein kann. Braune Kulleraugen und einen Farbunfall im Haar, es sollte wohl rotbraun werden. Doch wenn mich morgen jemand bitten würde, ihn aus dem Kopf zu zeichnen, würde es mir nicht gelingen.
    »Nein, Linna, geh nicht, du verstehst das falsch …«
    »Ja, tu ich das?« Jetzt bin ich laut, aber es stört mich nicht. Meine Stimme kreischt niemals. Sie wird sogar voller und tiefer, wenn ich sie erhebe. »Du engagierst einen fremden Gitarristen, ohne mich zu fragen? Das war früher tabu und das ist es jetzt auch! Ich bin der Boss, klar?«
    »Ich … äh …«, meldet sich der Typ verlegen zu Wort. Langsam lässt er die Fernbedienung sinken. Seine Hand zittert. Er macht sich meinetwegen in die Hosen. »Also, ich …«
    »Schnauze«, unterbinde ich sein Gestammel, dämpfe meine Lautstärke aber ein wenig. »Ich fahr jetzt heim. Sag Simon schöne Grüße und dass seine liebe Schwester alles vermasselt hat.«
    »Jetzt überreagier doch nicht, Linna!«, versucht
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