Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Linna singt

Linna singt

Titel: Linna singt
Autoren: Bettina Belitz
Vom Netzwerk:
nach unten blicke, um herauszufinden, wogegen ich da gerade gelaufen bin. Es ist ein Hund. Und was für ein großer … Er lässt ein dünnes Winseln ertönen, fast wie eine Entschuldigung in Hundesprache, dann klappt sein riesiger Kiefer auf und das Monstrum fängt an zu hecheln. Sobald ich zurückweiche, kippt es seinen Kopf ein paar Zentimeter zur Seite, um mich ins Visier zu nehmen, aus unterwürfigen, treuen hellbraunen Augen.
    »Wem gehört das Kalb?«, rufe ich in Richtung Wohnzimmer. »Brauchen wir jetzt auch noch einen Bandhund? Sollen wir uns Fünf Freunde nennen?«
    »Mir«, ertönt es gedämpft direkt vor mir. »Das ist meiner.«
    »Dann tu ihn weg«, reagiere ich prompt und hebe meinen Kopf erst nach einer kurzen Pause, damit mir meine Überraschung nicht anzumerken ist. Falk … Das war Falks Stimme. Hinter ihm im Windfang ist die Außenlampe angesprungen, sodass ich nur seine Umrisse erkennen kann. Er steht im Gegenlicht. Ich weiß, dass er es ist, nicht nur wegen seiner Stimme – so stand er schon damals da, ich habe es nie vergessen. Doch ich kann nicht glauben, wie groß er geworden ist. Mindestens einen Meter achtzig, wahrscheinlich sogar mehr.
    »Here, Luna. Sit down.«
    Na, das ist ja exklusiv. Er spricht englisch mit seiner Töle. Ich kenne die Rasse, sie muss ein Irish Wolfhound sein. Bisher habe ich diese Hunde nur auf Bildern gesehen. Luna löst ihre schmale Schnauze von meinem Knie und wendet auf den Hinterläufen, wobei sie beinahe den Schirmständer umreißt und meinen Rucksack streift, so lang und hoch ist sie, und presst ihren dünnen Leib an Falks Beine.
    Ich greife neben mich, um das Flurlicht anzuknipsen. Falk blinzelt und bewegt seinen kräftigen Oberkörper ein paar Zentimeter zurück, als wäre ich ihm zu nahe getreten, während Luna aufgeweckt zwischen ihm und mir hin- und herschaut. Sachte klopft ihr haariger Schwanz auf den Boden.
    Sind seine Augen kleiner geworden? Kann das sein? Und hatte er schon immer so ein ausdrucksstarkes Kinn? Wo ist sein Babyface geblieben? Außerdem hat er lange Haare …
    Ich gehe einen Schritt auf ihn zu, um ihn genauer zu betrachten, ja, tatsächlich, schulterlange Haare, im Nacken zu einem Zopf gebunden. Lockig sind sie geworden und durchsetzt von goldenen Strähnen, sonnengebleicht. Meine Güte, Falk ist ein Schrank von einem Mann, breite Schultern, kräftige Hände, seine Haut ist beinahe dunkler als meine. Er sieht aus wie jemand, der täglich Sport macht, nie krank wird und nur ins Haus geht, wenn draußen ein Hurrikan tobt, aber selbst dann wäre er wahrscheinlich lieber an der frischen Luft.
    »Darf ich?«, fragt er höflich und zeigt auf den Durchgang hinter mir.
    »Tu dir keinen Zwang an.« Ich gehe nicht so weit zur Seite, wie der Flur es zuließe, er muss mich streifen, während er an mir vorbeiläuft, und ich warte darauf, dass er irgendetwas tut, dass er meinen Arm streichelt oder wie Jules meinen Po tätschelt, nur eine einzige Geste, die mir zeigt, dass er sich erinnert, doch nichts dergleichen geschieht.
    »Hallo, Linna«, sagt er knapp, als wir auf einer Höhe sind, seine Stimme immer noch gedämpft und die Konsonanten weich, fast zu weich. So weich hat er früher nie geredet.
    Okay, dieses Spiel ist also gefragt. Drei Auftritte lang hat er das damals durchgehalten, bis zu dem Tag X, als ich allem ein Ende setzte. Zu den Proben kam er zu spät oder gar nicht mehr, angeblich zu viel Stress und Termine, obwohl wir genau wussten, dass er am See herumlungerte, aber gleichzeitig spürte ich bei diesen drei letzten Gigs genau, dass da etwas zwischen uns war, nach wie vor, da war etwas … Er weiß das. Er muss es wissen!
    Ich höre Geschirr klappern, Maggie deckt den Tisch, nun im Esszimmer nebenan, das früher nie benutzt wurde. Doch mein Hunger hat sich in Luft aufgelöst. Wie angewachsen stehe ich im Flur und versuche, den dumpfen, krampfartigen Schmerz in meinem Magen zu verdrängen, den Falks kühle Begrüßung hinterlassen hat. Es kann doch nicht sein, dass seine Gegenwart mich derart aus der Fassung bringt – ja, als hätten wir uns gestern das letzte Mal gesehen. Nein, geküsst. Genau so fühlt es sich an: als hätte er mich gestern erst geküsst. Dabei habe ich fünf Jahre lang kein Wort mit ihm gewechselt.
    Ich will mich wieder ins Klo einschließen und zur Ruhe kommen, als ich draußen ein Auto heranfahren höre. Das muss Simon sein.
    Kurz entschlossen ziehe ich die Eingangstür auf und stelle mich in ihren Rahmen, froh, dass
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher