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Linda Lael Miller

Linda Lael Miller

Titel: Linda Lael Miller
Autoren: Ein suendiger Engel
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kleinen Kapelle auf der anderen Straßenseite für ihn
zu beten. Es war gefährlich, den Fremden im Haus zu haben, denn es herrschte
noch immer Unruhe in Santiago de Cuba, und wenn die Spanier ihn fänden, stünde
ihm der sichere Tod bevor.
    Consolata
seufzte, als sie das Tuch befeuchtete und die heiße Stirn des americanos damit
abtupfte. Zwei Tage war er jetzt hier, und zwei Tage lag er im Fieberrausch der calentura amarilla, des gelben Fiebers. Wenn Onkel Tomas aus Havanna
zurückkehrte, würde er furchtbar wütend sein, weil seine Nichte den Soldaten
beherbergte. Consolata habe sie alle in Gefahr gebracht, würde er sagen; weder
Kerzen noch Andachten könnten sie vor dem Zorn der Spanier retten, falls diese
den americano bei ihr entdeckten.
    In den
siebzehn Jahren ihres jungen Lebens hatte Consolata schon oft gesehen, was
geschah, wenn man die Spanier verär gerte, und es schauderte sie bei dem
Gedanken. Edmonio, ein Freund ihres Onkels, hatte einmal gewagt, etwas gegen
die Invasoren zu sagen, und als Folge davon besaß er jetzt nur noch zwei Finger
der rechten Hand. Verstümmelung war eine der gefürchteten Strafen für
öffentliches Aufwiegeln.
    Stirnrunzelnd
hob Consolata die kräftige, sonnengebräunte Hand des americanos. Die
Handfläche war glatt und wies keinerlei Schwielen auf. An einem Finger trug er
einen goldenen Ehering.
    Der Mann
bewegte sich. »Bonnie«, stöhnte er, »Bonnie?«
    Consolata
biß sich auf die Lippe und bat die Heilige Jungfrau stillschweigend um
Vergebung für den Haß, den sie auf diese Frau namens > Bonita < empfand.
Sanft und fürsorglich tupfte sie den Schweiß von dem schönen, markanten Gesicht
des Mannes.
    »Bonnie!«
rief er in seinem Fieberwahn.
    Tränen
verdüsterten Consolatas Augen. Sie richtete sich aus ihrer gebückten Haltung
auf, ein schlankes, gutgebautes Mädchen mit dunklem lockigem Haar, das ihr bis
auf die Taille fiel, und einem Gesicht, das viele zusätzliche Gäste in die cantina lockte. Sie stellte die Wasserschüssel auf den Boden und griff nach dem
eleganten Herrenrock aus feinem Tuch, der über einem Stuhl hing.
    In einer
der Taschen, das wußte Consolata, befand sich eine Geldbörse mit einer Menge
Geldscheine aus los Estados Unidos. Aber nicht das Geld interessierte
sie, sondern die Papiere in der Börse. Sie trugen den unaussprechlichen Namen
des Fremden und jener Menschen, die von seiner Krankheit unterrichtet werden
mußten ...
    Sie schob
die zusammengefalteten Papiere in die Tasche ihres weiten Rocks und schlich auf
nackten Sohlen aus dem Raum.
    Die cantina war leer, es war Siestazeit, und auch die Straßen waren während dieser
heißesten Zeit des Tages still und verlassen. Eine flirrende Hitze hing über
dem Tal der Sierra Maestra. Consolata blieb einen Moment stehen, um auf die
Bucht herabzuschauen. Auf drei Seiten von hohen Felsen eingeschlossen, war
eine Seeinvasion von Santiago de Cuba praktisch unmöglich. Auf dem höchsten
dieser Felsen befand sich el castillo del moro, eine stolz aufragende
grimmige Festung aus dem sechzehnten Jahrhundert.
    Consolata
legte die Hand über die Augen, um sie vor dem gleißenden Sonnenschein zu
schützen, und verfluchte stillschweigend die Männer, die Kriege führten.
    Schließlich
überquerte sie die Straße, die heiß und trocken unter ihren nackten Füßen war,
und schlüpfte in die kühle, schattige Kapelle. Nachdem sie sich mehrmals
bekreuzigt hatte, suchte sie den Pater auf.
    Wie ihr
Schützling, war auch er ein americano, aber er sprach fließend Spanisch
und war noch recht jung. Er hatte blaue Augen und feuerrotes Haar und lächelte
Consolata an, obwohl sie seine Siesta unterbrochen hatte.
    »Halten die
Menschen in Kansas auch Siesta?« fragte sie mit unschuldiger Miene, um den
Moment hinauszuzögern, in dem sie ihr furchtbares Geheimnis preisgeben
mußte.
    Der Pater
lachte. »Nein, mein Kind, das tun sie nicht«, antwortete er in Spanisch. »Und
das ist ihr Pech. Aber was bringt dich zu dieser heißen Stunde her?«
    Da
Consolata ihr Anliegen nicht in Worte zu fassen wußte, zog sie die Papiere aus
der Tasche und reichte sie dem Pater.
    »Mein
Gott«, sagte er, nachdem er sie gelesen hatte. »Kennst du diesen Mann,
Consolata? Wieso hast du seine Papiere?«
    Sie senkte
den Kopf. »Er kam vor zwei Tagen in die cantina«, erwiderte sie leise.
»Er hat das Fieber ...«
    Der Pater
wirkte alarmiert. »Wo ist dein Onkel, Consolata?«
    »Onkel
Tomas ist in Havanna. Wenn er zurückkommt, wird er sehr böse sein.«
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