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Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition)

Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition)

Titel: Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition)
Autoren: Jonathan Lethem
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Fick keine schwarzen Cops mehr, oder du fliegst aus der Kommunistischen Partei. Da stand das Ultimatum, die absurde Endsumme der Nachricht, die die in Rose Zimmers Küche in Sunnyside Gardens versammelte Clique ihr übermittelt hatte. Spätherbst 1955.
    Sol Eaglin, Bedeutender Kommunist, hatte sie angerufen. Ein »Ausschuss« wolle sie sehen; nein, sie wären glücklich, entzückt, zu ihr nach Hause zu kommen, heute Abend, nach ihrer eigenen Besprechung, ebenfalls in den Gardens – war zehn zu spät? Das war ein Befehl, keine Bitte. Ja, Sol wusste, dass Rose schwer arbeitete, was ihr Schlaf ihr bedeutete. Er versprach ihr, sie würden nicht lange bleiben.
    Wie war das bloß passiert? Leicht. Eigentlich Routine. Das passierte jeden Tag. Man konnte aus der gemeinsamen Sache ins Exil getrieben werden, weil man sich die Nase geputzt oder in verdächtigen Abständen geblinzelt hatte. Und jetzt war nach all der Zeit eben Rose an der Reihe. Sie hatte das Küchenfenster gekippt, um sie kommen zu hören. Kaffee gekocht. Geräusche aus den Gardens sickerten herein, Raucher, Pärchen, Teenager, die auf den kommunalen Wegen schmollten. Eine winterliche Dunkelheit hielt die Nachbarschaft zwar schon seit Stunden fest gepackt, aber der frühe Novemberabend war unheimlich mild und verlockend, der letzte Puls der Erde, die sich an den Sommer erinnerte. Auch andere Küchenfenster standen offen, und die Stimmen überlagerten sich: Roses überreichliche Feinde, die wenigen Freunde, andere, so viele andere, einfach geduldet. Aber alles Genossen. Die Rose selbst in Form ihrer Ablehnung Respekt erwiesen. Respekt, den der Ausschuss, der gerade ihre Küche betrat, ihr rauben würde.
    Mit Eaglin waren sie zu fünft. Sie waren zu fein angezogen, mussten mit Westen und Jacketts irgendetwas kompensieren, verteilten sich auf Roses Stühlen wie auf einem sowjetischen Ölbild und posierten, als hätten sie einen intellektuellen Auftrag. Der Chimäre des Dialektischen Dingsdas auf den Fersen, dabei gab es hier keine Dialektik. Nur Diktatur. Und die Entgegennahme von Diktaten. Trotzdem bemühte sich Rose um Nachsicht. Bis auf Eaglin waren die Männer zu jung, um wie sie die intellektuellen Saltos der Dreißiger überlebt zu haben, den Ausbruch des europäischen Faschismus und die Volksfront; im Krieg waren sie noch Kinder gewesen. Das waren Drohnen, Männer im Kostüm unabhängigen Denkens, die Sklaven der Gruppensprache der Partei geworden waren. Niemand zählte in diesem Raum mit Ausnahme des einzigen unabhängigen oder denkenden Mannes unter ihnen, einem echten und berühmten Agitator, einem Mann der Fabrikhallen, Sol Eaglin. Rose Zimmers Exliebhaber. Eaglin mit seiner Fliege und dem Haaransatz inzwischen hinter der hohen Schädelwölbung wie die sinkende Wintersonne. Eaglin, der als einziger in der Gruppe Manns genug war, ihr nicht in die Augen zu sehen, der einzige, der bei dem Ganzen einen Anflug von Scham spüren ließ.
    Das war eine kommunistische Gewohnheit, ein kommunistisches Ritual: der Wohnzimmerprozess, der respektable Lynchmob, der sich erst an deiner Gastfreundschaft ergötzte und dein Engagement dann mit einer Granate der Parteipolitik bombardierte, mit dem Buttermesser eine Scheibe Toast bestrich und dich damit dann von heute auf morgen von allem trennte, wofür du dein Leben gegeben hattest. Aber bloß weil es unter Kommunisten Gewohnheit und Ritual war, hieß das nicht, dass diese Jungen sich darauf verstanden oder sich dabei wohlfühlten: Rose war die Veteranin. Sie war schon vor acht Jahren Opfer eines solchen Prozesses gewesen. Die Männer schwitzten; Rose fühlte sich nur erschöpft, wenn sie hörte, wie sie hüstelten und sich räusperten.
    Das Ölbild machte Smalltalk. Einer beugte sich vor und hantierte an Roses Abraham-Lincoln-Schrein herum, dem dreibeinigen Tischchen,auf dem ihre Originalausgabe von Carl Sandburgs sechsbändiger Biographie stand, ein in einem gerahmten Ständer steckendes Foto von ihr und ihrer Tochter vor der Statue im Memorial von Washington D. C. sowie eine falsche Gedenk-Centmünze vom Umfang einer Leberwurstscheibe. Der junge Mann war blond wie Roses erster Ehemann – ihr einziger Ehemann, aber Roses Hirn erlaubte sich ständig diese kleine Abweichung, als läge ein zweites Leben noch vor ihr und wartete auf Aufzählung. Der Mann wog das Medaillon und legte auf idiotische Weise den Kopf schief, als fragte er sich, ob das beeindruckende Gewicht ein aussichtsreiches Gesprächsthema abgäbe.
    »Der
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