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Liegen lernen

Liegen lernen

Titel: Liegen lernen
Autoren: Frank Goosen
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nicht für diese jämmerlichen Idioten den Arsch auf.«
    Mücke erzählte viel. Immer wieder von seinem großen Bruder, der sich oft prügelte und viel Sex hatte.
    Ich behielt meine Ferienerlebnisse für mich. Ich war in Holland gewesen. Es war der letzte Urlaub gemeinsam mit meinen Eltern, aber das wußte ich damals noch nicht. Ich war in eine blonde Holländerin verliebt. Im vierten Schuljahr war ich in Anke verliebt gewesen. Ich hatte den ganzen Tag an sie denken müssen. Und jetzt hatte ich drei Wochen lang an diese Holländerin denken müssen.
    Die Holländerin war vielleicht knapp über zwanzig und arbeitete in einer Bäckerei, in der ich jeden Morgen frische Brötchen holen mußte. Für meinen Vater hätte es auch drei Tage altes Brot getan, aber meine Mutter bestand auf frischen Brötchen, schließlich sei Urlaub. Die Holländerin war ganz hellblond. Und unter der weißen Bäckerschürze trug sie immer einen sehr kurzen Rock. Sie sprach deutsch mit einem holländischen Akzent, sie hörte sich an wie die Tochter von Rudi Carrell. Sie war sehr freundlich und lächelte oft, und dann sah man weiße Zähne, die genau zu ihrem Haar paßten.
    Einmal ging ich nach dem Frühstück noch einmal hin und wartete, bis der Laden Mittagspause machte. Als sie herauskam trug sie keine Schürze mehr. Sie hatte sehr schöne, braune Beine. Sie war die schönste Frau der Welt.
    Es war ein sehr stiller Urlaub, denn meine Eltern redeten nicht viel miteinander, aber wie schon gesagt, das war bei uns nicht unbedingt Mode. Wir kamen seit Jahren hierher. Immer nach Holland, immer in das gleiche Nest am Meer. Nur die Pensionen wechselten, sahen aber alle gleich aus. Morgens, nach dem Frühstück, gingen wir spazieren und dann in ein Lokal, um zu Mittag zu essen. Nachmittags gingen wir wieder spazieren oder spielten Minigolf. Dann gingen wir in ein Café und tranken Kaffee und aßen ein Stück Kuchen. Dann gingen wir zurück in die Pension. Wenn das Wetter schlecht war, saßen wir in der Pension und blätterten Illustrierte durch. Um sechs Uhr gab es Abendessen, egal bei welchem Wetter. Leberwurstbrote und Hagebuttentee, jeden Abend. Danach ging mein Vater allein am Strand spazieren. Ich konnte ihn vom Fenster meines Zimmers aus sehen, wie er direkt am Wasser entlangging, als müsse er den Strand vermessen, den Kopf gesenkt, die Augen auf den Sand geheftet. Vielleicht suchte er etwas. Gefunden hat er nie was. Meine Mutter räumte in der Zwischenzeit die Gemeinschaftsküche der Pension auf und widmete sich dann ihren Kreuzworträtselheften, die sie im Urlaub stapelweise durcharbeitete, als bekäme sie Geld dafür. Später saßen wir vor dem Fernseher, und meine Mutter häkelte Topflappen. Spätestens um elf gingen wir ins Bett. 
     
    Von alledem erzählte ich Mücke nichts. Er hätte sich nur darüber lustig gemacht, wo er doch jetzt eine Brust angefaßt hatte. Vor der Schule schnippte Mücke seine Zigarette weg und atmete ein letztes Mal Rauch aus.
    Wir hörten von Britta, bevor wir sie sahen. Sie war »die Neue«. Einige Jungs hatten sie schon gesehen. »Sie ist geil, absolut fickbar!« sagte der lange Schäfer, den keiner leiden konnte. Er wollte Mückes Freund sein, deshalb redete er wie Mücke.
    In der ersten großen Pause sahen wir sie. Sie war wunderschön. Sie hatte ganz dunkle Haut, als habe sie sehr lange in der Sonne gelegen. Ihre Augen waren schmal, und ihre Brauen sahen aus wie aufgemalt. Sie war anders als die anderen Mädchen. Sie sah aus, als würden wir sie nicht interessieren.
    Wir umkreisten sie unauffällig, die ganze Pause lang. Wir konnten nicht genug von ihr kriegen und wußten nicht, was wir sagen sollten.
    Als ich am Mittag nach Hause kam, war mein Vater schon da. Ein Mann in einem weißen Kittel stand neben ihm. Der neue Fernseher war da, ein großer Kasten aus schwarzem Kunststoff. Es lief das Testbild. Der Mann versuchte, meinem Vater noch einen Videorecorder aufzuschwatzen, aber damit wollte mein Vater nichts zu tun haben. Ich ging in mein Zimmer und wartete, daß meine Mutter mich zum Essen rief.
    Die erste Sendung, die ich in unserem neuen Farbfernseher sah, war natürlich die »Tagesschau«. Mein Vater hatte es sich vorbehalten, das neue Gerät selbst einzuweihen. Nach der »Tagesschau« kam Professor Grzimek. Nach einer halben Stunde Farb-TV ging ich in mein Zimmer. Ich setzte mir Kopfhörer auf und hörte »The Concert in Central Park«. Ende Mai 82 war ich auf dem Simon-and-Garfunkel-Konzert im
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