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Perry Rhodan Neo 019 - Unter zwei Monden

Perry Rhodan Neo 019 - Unter zwei Monden

Titel: Perry Rhodan Neo 019 - Unter zwei Monden
Autoren: Marc A. Herren
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Prolog
     
    Als er die Augen schloss, blieb der Abdruck des grellweißen Sonnenballes auf seiner Netzhaut haften. Tanzte umher wie ein Gespenst, das auf einem altertümlichen Fotonegativ zum Leben erweckt worden war.
    Gott würfelt nicht, sagen die einen, dachte er. Es gibt keinen Gott, behaupten die anderen. Und die Dritten fragen sich, wer es denn sei, der die Würfel wirft, wenn nicht Gott.
    Die Bilder von damals suchten ihn seit Stunden heim, wie sie es manchmal taten, wenn der Brunnen der Erinnerung plötzlich anstieg und verschüttete, was eigentlich verborgen bleiben sollte.
    Er wusste, dass die meisten Menschen Kraft aus ihrer Biografie schöpften. Ihre Erfahrungen bildeten für viele das Reservoir, aus dem sie die Gewissheit nahmen, dass ihr bisheriger Lebensweg nicht umsonst gewesen war. Dass die Ziele, die sie erreicht, Eroberungen, die sie gefeiert hatten, einzig und allein dem Zweck gedient hatten zu beweisen, dass ihre Existenz auf Mutters Erde sinnvoll war und das Entwachsen aus dem süßen Schoß der Jugend ein notwendiges und deshalb ehrenhaftes Unterfangen bedeutet hatte.
    Für ihn bedeuteten diese Erinnerungen eine Last, die er wegsperrte. Sie genügten ihm als schimmernde Abdrücke tief im Brunnen der Erinnerung.
    Man sagte, dass olfaktorische Erinnerungen die stärksten seien. Der Geruch des Treppenhauses aus der Kindheit. Das Parfüm der ersten Geliebten. Beißender Rauch und Tränengas, vermischt mit staubigem Wüstenboden. Jahrzehntelang können Erinnerungen verschüttet sein – ein einziger Atemzug reichte aus, und man wurde überschüttet mit Bildern, Geschichten und Gefühlen. Ein Spielzeugauto, das über das Treppengeländer hinuntersauste. Der erste Tanz mit der Schönheit aus der Parallelklasse. Der verstümmelte Lieutenant Thomas C. Hardy bei einem Überraschungsangriff der Taliban, nachdem sie stundenlang im vermeintlichen Hinterhalt ausgeharrt hatten.
    Die Sonne, die unerbittlich auf ihn herunterbrannte, während er den Vorgesetzten zwei Stunden durch feindliches Gebiet getragen, auf einem der vereinbarten Treffpunkte abgelegt und dann erst festgestellt hatte, dass jegliches Leben aus dem Körper dieses Mannes entwichen war. Die unglaubliche Müdigkeit und Mutlosigkeit in den Stunden nach dieser Erkenntnis.
    Goratschin öffnete die Augen. Die Sonne über der Gobi, über Terrania, strahlte mit derselben Intensität, wie sie es damals getan hatte.
    Vor einem halben Menschenleben. Thomas C. Hardy, Farmer aus Ohio, hatte seinen 23. Geburtstag nicht mehr erlebt. Und ihn gab es immer noch.
    Rampage hatten ihn seine Kameraden genannt, der Tobende. Er hatte den Namen gehasst. Während seiner Gefangennahme hatte er erfahren, dass auch die Talibankämpfer ihm einen Übernamen gegeben hatten: Zanawar.
    Seinem Bruder, der zur gleichen Zeit im Irak gekämpft hatte, hatte man ebenfalls einen Namen gegeben: Ivanhoe , der edle Ritter.
    Die Gefangenschaft war nur kurz gewesen. Weder Medikamente noch Ketten oder Wände aus Stahl bändigten einen Mann wie ihn. Das Versteck tief in den Bergen an der pakistanischen Grenze hatte seinen Kräften nicht lange standhalten können. Calciumatome fanden sich überall.
    Er flüchtete durch Vorhänge aus Feuer, begleitet von den Schreien der Sterbenden. Getrieben durch den reinen Überlebenswillen, hatte er seine Angst in den hintersten Winkel des Bewusstseins verbannt, den Schmerz ignoriert und war der Hölle entkommen.
    Viele Jahre später wusste er, dass er zwar jenem Gefängnis entkommen war, aber ein Leben lang ein Gefangener sein würde.
    Viel zu tief war der Brunnen der Erinnerung. In ihm hauste ein Kerkermeister, der ihn nie entkommen lassen würde. Nicht, solange er lebte.
    Goratschin schloss die Augen. Er fühlte sich müde.

1.
    Tatana Michalowna
    14. September 2036, auf einer fremden Welt
     
    Sie traten aus der Schwärze des flirrenden Feldes in den halbdunklen Urwald. Sofort wusste Tatana Michalowna, dass etwas nicht stimmte. Übergangslos fühlte sie sich schwach, hatte den Eindruck, eine zentnerschwere Last zu tragen, die sie erbarmungslos nach unten zog.
    »Schwerkraftanpassung erfolgt«, meldete die Stimme der Anzugpositronik.
    Die Schwere reduzierte sich augenblicklich. Erleichtert atmete sie ein. Die Luft roch frisch und lebendig. Die Atmosphäre war erfüllt von einem vielkehligen Schnattern, Rufen, Jaulen und Schreien, dem Flattern von Nachtfaltern und dem Plätschern eines nicht allzu weit entfernten Wasserfalles.
    Dann kam erst der Gedanke,
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