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Perry Rhodan Neo 019 - Unter zwei Monden

Perry Rhodan Neo 019 - Unter zwei Monden

Titel: Perry Rhodan Neo 019 - Unter zwei Monden
Autoren: Marc A. Herren
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dass der Turm nie aufhören würde zu wachsen.
    Sid liebte den Anblick. Wenn er nicht gerade einer anderen Verpflichtung nachzugehen hatte, saß er oft stundenlang an einem der hohen Fenster im Tower oder an einer Straßenecke und sah der Stadt zu, wie sie wuchs.
    Er genoss die Vorstellung, dabei zu sein, wenn eine Legende entstand. Machu Picchu, Palenque, Tikal und die anderen sagenhaften Städte Südamerikas – wie oft hatte er sich gefragt, wie es wohl damals gewesen war, als sie erbaut worden waren. Hunderte Jahre später war die Erinnerung daran verblasst wie eine altertümliche, analoge Fotografie. Verblichen aus der Erinnerung der Menschen.
    Sid zweifelte nicht daran, dass der Stern Terranias länger und heller strahlen würde als diejenigen aller anderen Städte Terras zusammen.
    Er hob die rechte Hand und beschattete seine Augen. Die Arbeiten im Lakeside Institute of Mental and Physical Health schienen ihren gewohnten Gang zu nehmen. Menschen aller Couleur setzten Fertigelemente zu Baracken zusammen, installierten Wasser- und Energieleitungen. Andere gingen die staubige Straße entlang innerhalb der mit Sprühfarbe markierten Fußgängerzonen. Dazwischen holperten Fahrzeuge und improvisierte Maschinen, transportierten Menschen und Bauelemente.
    Sid runzelte die Stirn. Das Gefühl, mitten in einem Traum zu stecken, der nicht enden wollte, verunsicherte ihn. Weshalb kam ihm das alles so fremd und irreal vor? Weshalb brannten seine Augen wie Feuer? Warum rannen plötzlich Tränen über seine Wangen?
    Viele Menschen glichen sich, weil sie ähnlich gekleidet waren. Helle, luftige Kleidung, ebenso Uniformen, von denen sie die Rang-, Truppengattungs- und Länderabzeichen entfernt hatten.
    Es gab viele eher klein gewachsene Asiaten. Dazu Europäer, Afrikaner, Inder, Amerikaner. Und dazwischen ...
    Sekundenlang starrte er auf ihn. Sid hatte das Gefühl, als müsse sein Herz zu schlagen aufhören. Er kannte ihn.
    Nein, nicht ihn. Es. Ein Gespenst!
    Es überragte die Menschen, zwischen denen es ging, um mehr als einen Kopf. Es trug ein hellbraunes Gewand, das Sid an das Titelbild der abgegriffenen Ausgabe von »Lederstrumpf« erinnerte. Als Kind war sie sein wertvollster Besitz gewesen, bis er sie eines Tages verloren hatte.
    Übergangslos breitete sich Kälte in Sid aus. Er musste träumen. Dieser Mann, der über die Straße flanierte, existierte doch nicht mehr! Das Böse hatte ihn eingeholt. Das Böse, dem er zuvor selbst eine Hülle gegeben hatte.
    Sid hatte sich viele Gedanken über das Böse gemacht. Über die Wege, die das Böse nahm. Über die Risiken, die man einging, wenn man auf diesen Wegen wandelte. Wie viele Menschen waren gestorben, die zuvor diesen Glanz der Unbesiegbarkeit ausgestrahlt hatten, weil ihnen das Böse Macht und Kraft gegeben hatte?
    Kraft und Macht. Nichts, was man mit ins Jenseits nehmen konnte. Übrig blieb man einzig in den Gedanken anderer. Und weshalb, hatte sich Sid damals gesagt, weshalb soll es erstrebenswert sein, als gescheiterter Bösewicht in Erinnerung behalten zu werden?
    Dieser Gedankengang hatte Sid damals beruhigt. Er hatte ihm die Zuversicht gegeben, auf dem richtigen Weg zu sein. Die Guten waren nicht immer siegreich. Die Guten hatten nicht immer recht. Aber an die Guten erinnerte man sich. Man bedauerte und betrauerte ihren Tod. Man war nicht froh und erleichtert darüber, wenn ein böser Mensch weniger seinen dunklen Machenschaften nachging.
    Der Tod der Bösen war nötig, weil das Böse nicht triumphieren durfte.
    Und deshalb – genau deshalb! – war es eine Unmöglichkeit, eine Monstrosität, die er auf der Straße sah. Nicht einfach nur ein Mensch, der eigentlich tot sein sollte.
    Aus Sids Verwirrung wurde Schrecken. Aus dem Schrecken wurde Angst. Und die Angst gebar Wut.
    »Ivanhoe!«, schrie Sid aus voller Lunge.
    Der Schrei hallte von dem Fenster wider, brachte seine Ohren zum Klingeln. Sein Herz schlug schneller. Die Wangen fühlten sich gleichzeitig heiß und nass an.
    Funken sprühten, während er sich auf den Sprung konzentrierte. Von weit her hörte er Johns Stimme, aber die Worte erreichten ihn nicht.
    Ich werde dich töten, dachte Sid, und er sprang.
     
    Der Aufprall fühlte sich an, als wäre er aus vollem Lauf in eine Wand geprallt. Die Luft entwich seinen Lungen mit einem kehligen Husten, begleitet vom metallischen Geschmack des Blutes.
    Sid taumelte zurück, während von seinen Armen, der Brust und dem Kinn unglaubliche Schmerzen ausgingen. Durch
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