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Lieblingsstücke

Lieblingsstücke

Titel: Lieblingsstücke
Autoren: Susanne Fröhlich
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geteilter Meinung sein kann, vor allem, wenn man auf der Verkäuferseite steht, denn die Fragerei macht vor allem eins: Arbeit.
    Dummerweise hatte ich, um mich besonders kundenfreundlich darzustellen, auch noch meine private E-Mail-Adresse angegeben. Und es kamen reichlich Mails. »Wie groß ist der Esstisch genau?«, »Kann man die Gardinen auch zuziehen?« und »Wohin will Ihre Tochter denn in Afrika?« waren nur einige der Fragen, die mir gestellt wurden. Wofür, um alles in der Welt, musste man wissen, wie groß der Puppenhaustisch genau war? Wollte die Familie etwa selbst dran sitzen? Die Neugier der Menschen kennt kaum Grenzen.
    Warum interessiert sich jemand für die Reiseroute einer Abiturientin, die er nicht mal kennt? Ich hatte trotzdem geantwortet. Schon aus reiner Höflichkeit. »Ghana«, hatte ich geschrieben, »meine Tochter will quer durch die Sahara Richtung Ghana.« Ich dachte, damit sei die Neugier ausreichend befriedigt. Ich hatte sogar extra unseren Atlas zur Hilfe genommen, um mich nicht zu blamieren. Geographie ist eines der Gebiete, auf denen man sich meisterhaft blamieren kann. Stand auch auf einer meiner Listen: Hauptstädte lernen. Sofort hatte ich bei Ghana nachgeschaut. Die Hauptstadt war Accra. Ich dachte, nun würde man Ruhe geben. Aber Pustekuchen. Jetzt ging es um Details. Wie will sie reisen? Was ist mit den Impfungen? Hat sie genug Reiseliteratur? Und das alles von einer Frau, die nicht mal aufs Puppenhaus geboten hatte. Das zeigte ja nun eindeutig, wie viel Zeit und Neugier manche Leute hatten.
    Interessant waren auch die Namen der Ebayer. Die Reiseroutenneugierige
nannte sich Studienrätlerin. Das implizierte Fachwissen. Ich hatte sofort Respekt. Einer Lehrerin schrieb man nicht eben mal, dass sie das alles einen Dreck anging, obwohl es genau so war. Allerdings, man fragt sich schon, was eine Frau dazu treibt, E-Mails mit Wildfremden auszutauschen. War sie – garantiert eine pensionierte Erdkundelehrerin mit extremem Mitteilungsdrang – so einsam, dass sie ihre Zeit damit verbrachte, Reisepläne von angeblichen Abiturientinnen zu hinterfragen? Sollte ich Mitleid haben und sie mal zu uns nach Hause einladen oder brauchte sie eher professionelle Hilfe? So oder so, diese hartnäckige Person machte jede Menge Arbeit. Ich nahm meinen Mut zusammen und trat in den Kommunikationsstreik. Ich bin nun wahrlich aus dem Alter raus, in dem ich mich vor Lehrern fürchten müsste (tue es aber insgeheim immer noch), und deshalb schrieb ich ihr so freundlich, aber auch so bestimmt wie möglich, dass die genauen Pläne nicht feststünden und ich leider sehr beschäftigt sei. Ein verschlüsseltes Gehen-Sie-mir-bitte-nicht-mehr-auf-den-Keks. Anscheinend war das die völlig falsche Taktik gewesen. Studienrätlerin antwortete mit einem ausgefeilten Hilfsangebot. Wenn ich so wenig Zeit für die große und wichtige Reise meiner Tochter hätte, würde sie gerne gemeinsam mit der Reisenden die Planung übernehmen. Schließlich sei es mehr als schade, dass mir diese erste große Reise meiner Tochter nicht am Herzen läge. Besonders weil eine Reise wie diese ja auch einiges an Risiken berge. Ich will ja niemandem zu nahe treten, aber das grenzte schon an Wahnsinn. Und war, gelinde gesagt, auch etwas übergriffig. Die tat ja gerade so, als hätte ich mein Kind vernachlässigt. Obwohl die Reise ja nicht mehr als ein Phantasiegespinst gewesen war, war ich doch etwas
beleidigt. Es gibt nur wenige Vorwürfe, die eine Mutter so treffen wie der, sich nicht ausreichend um ihr Kind zu kümmern. Selbst wenn objektiv nichts an den Vorwürfen dran ist, nagt so etwas extrem an Frauen. Wir haben das schlechte Gewissen von Geburt an. Schon deshalb hatte ich dieser Studienrätlerin nochmal geschrieben und einfach behauptet, die Reise wäre wegen dringender Familienprobleme abgesagt. Daraufhin war tatsächlich endlich Ruhe.
    Als die sieben Tage Ersteigerungszeit abgelaufen waren, stand mein Puppenhaus (ich hatte mittlerweile so viel Zeit mit dem Ding verbracht, dass ich mit Fug und Recht »mein Puppenhaus« sagen konnte) bei einhundertsiebenunddreißig Euro fünfzig. Ich selbst hätte mit Sicherheit mehr dafür geboten, aber ein Blick auf ähnliche Offerten zeigte, dass meine schwülstige Beschreibung gefruchtet hatte. Die anderen Anbieter hatten deutlich weniger für ihre Häuser bekommen. Somit war das Ganze tatsächlich ein richtiger Erfolg. Wenn auch ein mühsamer. Bis ich das Geld auf meinem Konto hatte, vergingen
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