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Lieblingsstücke

Lieblingsstücke

Titel: Lieblingsstücke
Autoren: Susanne Fröhlich
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Halle eskortieren. Mich empfängt allgemeines Schweigen. Es gibt freundliches Schweigen und böses Schweigen. Das hier ist eindeutig kein freundliches Schweigen. So viel ist sofort klar. Alle sind offensichtlich total sauer auf mich.
    Eine kleine Frau mit wirrem Haar, die ein ganz klein wenig schielt, unterbricht die Stille.
    »Du, Andrea, das war richtig mies von dir. Nur weil du noch nicht bereit bist zum Empfang. Jetzt hast du
Jesus vertrieben.« Zur Unterstützung ihrer Worte rollen ihre Augen noch mehr als sonst. Wie bei einem Flipper-Automaten. Sieht schlimm aus, hat aber durchaus etwas Faszinierendes. Ich kann meinen Blick kaum von ihren Augen lösen. Schon weil man krampfhaft versucht, nicht so auffällig hinzuschauen, glotzt man oft umso mehr. Zustimmendes Gemurmel in der Halle und wie immer, wenn einer den Mut hatte, etwas zu sagen, kommt der Rest auch gleich begeistert aus der Deckung. »Genau« und »Du tust mir irgendwie so was von leid« sind noch die harmlosen Kommentare.
    Ich werde also von nun an die Frau sein, die Jesus vertrieben hat. Die Frau, die Jesus zum Schweigen gebracht hat. Ich bin der Judas der Gruppe.
    »Soll ich gehen?«, biete ich reumütig an und hoffe inständig auf ein Ja. Scheiß auf die zweihundertneunzig Euro. Alle schauen auf unsere Channeling-Meisterin Asmara und sind gespannt auf ihre Entscheidung.
    »Nein«, sagt sie mit großmütigem Unterton. »Gerade du, Andrea, brauchst dieses Seminar. Vielleicht solltest du sogar überlegen, noch ein Weiteres zu belegen. Dein Empfang ist total blockiert. Da wartet wahnsinnig viel Arbeit auf dich.«
    Was für eine wunderbare Mitteilung. Mein Empfang ist blockiert, und es wartet Arbeit auf mich. Deswegen bin ich nun wirklich nicht hier. Arbeit habe ich zu Hause ausreichend. Christoph, mein Mann, wird sich kaputtlachen. Verhaltensauffällig geworden im Channeling-Seminar. Betragen mangelhaft. Na bravo. Das muss man erst mal schaffen. Vor allem war diese kleine persönliche Ansprache nur der Anfang. Den gesamten Nachmittag über bekomme ich immer wieder Hinweise, wie ich meinen Geist auf Empfang
schalten kann. Wir machen diverse Übungen und versuchen, mit unseren spirituellen Führern zu kommunizieren. Es wird irre viel geatmet, und wir wälzen uns auf dem leicht staubigen Boden durch den muffigen Raum. Außerdem fassen wir uns ständig an den Händen, und die meisten Übungen werden bei geschlossenen Augen absolviert. Generell liegt mir Kommunikation sehr, hier habe ich arge Probleme. Aus mir will überhaupt niemand sprechen. Wahrscheinlich liegt es an meinen Vorbehalten. Oder meinem mangelnden Ego. Insgeheim frage ich mich selbst, warum jemand ausgerechnet mich als Medium wählen sollte.
    Ist das hier nicht alles grauenvoller Humbug? Oder bin tatsächlich ich es, die einfach noch nicht reif genug dafür ist? Der die Empfangsebene abgeht? Egal, wie absurd einem etwas erscheint, ein Restzweifel bleibt doch immer. Besonders in dieser Situation. Wenn alle so überzeugt sind, nur man selbst nicht, besteht ja nun durchaus die Möglichkeit, dass man diejenige ist, die sich irrt. So borniert, dass ich mich für unfehlbar halte, bin ich nun auch nicht. Liegt es an meiner mangelnden Sensibilität? Tauche ich nicht tief genug in mein Selbst ein? Ist da einfach nichts in mir drin? Nur eine gigantische Leere, ein großes Nichts? Fehlen mir bestimmte Bewusstseinsebenen, und wenn ja, wo kriege ich sie her?
    Während ich noch still vor mich hin grübele, schreit Annabelle auf. Ihre Oma hat ihr etwas mitgeteilt. Alle sind ganz aufgeregt, schließlich ist Annabelles Oma vor gut zehn Jahren gestorben.
    »Es war ganz deutlich«, freut sie sich.
    »Und?«, frage ich, »was hat sie dir gesagt?«
    »Ich soll weniger Kohlenhydrate essen!«, teilt sie mir mit erheblichem Pathos in der Stimme mit.
    »Du sollst weniger Kohlenhydrate essen?« Das ist ja wohl der größte Käse, den ich je gehört habe. Als hätten sich die Frauen damals schon mit Kohlenhydraten beschäftigt. Das zum einen. Zum anderen meldet man sich doch nicht aus dem Jenseits, um über Kohlenhydrate zu sprechen. Da gibt es doch wirklich Bedeutsameres. Annabelle sieht an meinem Gesicht, dass ich gewisse Zweifel habe.
    »Glaubst du mir etwa nicht?«, zischt sie mich an, und wieder mal habe ich die ungeteilte Aufmerksamkeit des Saales.
    »Na ja«, versuche ich meine Zweifel ein wenig abzumildern, »sagen wir mal so, ich finde das irgendwie komisch. Oder besser gesagt, seltsam.«
    Jetzt wird Annabelle,
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