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Lieblingsstücke

Lieblingsstücke

Titel: Lieblingsstücke
Autoren: Susanne Fröhlich
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die vorhin bei der Jesusnummer noch recht freundlich geblieben ist, zickig.
    »Komisch, wieso komisch? Meine Oma sorgt sich um mich. Weil sie natürlich weiß, dass ich zu viel Weißbrot esse und ich deswegen auch oft zur Aggressivität neige. Da kümmert sich mal jemand um mich, und sofort machst du alles schlecht. Das finde ich echt blöd von dir. Du weißt ja sowieso immer alles besser.«
    Jetzt habe ich nicht nur Jesus vergrätzt, sondern auch noch Annabelle. Und ihre Oma gleich mit. Eine tolle Bilanz. Und das Seminar ist noch nicht mal zu Ende. Mal schauen, wen ich noch alles vor den Kopf stoßen kann. Asmara versucht meinen Fehler auszubügeln. Sie lobt Annabelle und ist angeblich irre stolz auf ihr Talent. Die Kohlenhydratnachricht ist für sie absolut eindeutig.
    »Du sollst dich mehr um deinen Körper kümmern, Annabelle, das ist das, was deine liebe Oma dir aus dem Jenseits mitteilen will. Die Kohlenhydrate sind ein Synonym.«
    Annabelle nickt ehrfürchtig, obwohl sie hundertprozentig nicht weiß, was Synonym heißt. Dass Oma eventuell auch nur sagen wollte: »Gott, Annabelle Kind, was bist du fett geworden in den letzten zehn Jahren!«, und dafür eine höfliche Metapher gesucht hat, scheint Annabelle nicht in den Sinn zu kommen.
    In diesem Stil geht es den ganzen Tag weiter. Als um einundzwanzig Uhr endlich Schluss ist und wir nach ein paar Ohm-Stöhn-Übungen von Asmara verabschiedet werden, bin ich total erledigt. Das viele Liegen und Atmen hat mich arg ermüdet. Ich bin nur froh, dass ich nicht noch vor versammelter Channeling-Schar eingeschlafen bin.
    Annabelle ist seltsam spröde, als wir rauskommen. Sie, die einen sonst zur Begrüßung und beim Verabschieden herzt und küsst, als gäbe es kein Wiedersehen mehr, nickt mir nur kurz zu und geht dann zu ihrem Auto.
    »Halt«, rufe ich, »Annabelle, wir sind doch zusammen gekommen!« Will die mich jetzt hier in Eschborn stehen lassen? Zur Strafe für meine Kohlenhydratskepsis? Werden Jesus und ich hier in dieser Muff-Gegend enden? Vielleicht noch in Gesellschaft von Annabelles Omi? Ich habe nach dem Abdrücken der Kursgebühr nicht mal mehr genug Geld, um mir ein Taxi zu leisten.
    »Komm halt, ich fahr dich noch nach Hause«, scheint sie sich zu erinnern, und wir treten ziemlich schweigsam die Heimfahrt an. Mein kurzer Versuch, an ihre Vernunft zu appellieren, scheitert.
    »Annabelle, warum sollte Jesus denn nach Eschborn kommen?«, frage ich nett und heiter, so als hätte es unseren kleinen Disput gar nicht gegeben, und knuffe sie dabei liebevoll in die Seite. Nach dem Motto: Wir zwei wissen doch ganz genau, dass das Quatsch ist. Sich gemeinsam
über etwas lustig zu machen, kann enorm verbinden. Es dauert lange, bis sie antwortet.
    »Andrea«, sagt sie sehr ruhig und für ihre Verhältnisse auch sehr ernsthaft, »der Dalai Lama war auch schon in Eschborn. Beim Roland Koch. Der wohnt da. Warum sollte Jesus dann nicht auch kommen?«
    Ich bin sprachlos. Sitzt Jesus vielleicht mittlerweile schon im Wohnzimmer von Roland Koch und trinkt mit ihm ein Weinchen? Gemeinsam mit dem Dalai Lama?
    Als wir vor unserem Haus ankommen, sehe ich, dass noch Licht im Wohnzimmer brennt.
    »Hast du noch Lust auf einen Wein oder so?«, lade ich Annabelle ein. Zur Wiedergutmachung und ehrlich gesagt auch als moralische Unterstützung, wenn ich gleich auf Christoph treffe. Der war von meiner Seminarteilnahme nämlich überhaupt nicht begeistert. Nicht, weil ich dann den ganzen Tag unterwegs bin und er mich unsagbar vermisst, sondern vor allem wegen der zweihundertneunzig Euro.
    »Für so einen Scheiß gibst du mein gutes Geld aus!«, hat er sich beschwert, und allein für diesen selten dämlichen und unverschämten Satz hätte ich am liebsten jedes Wochenende in den nächsten zehn Jahren ein teures Seminar gebucht. Schließlich ist Christoph, wenn es um ihn selbst geht, auch nicht direkt knickerig. Aber das ist selbstverständlich etwas völlig anderes.
    Annabelle schüttelt den Kopf und lehnt meine Einladung ab: »Ne, heute nicht. Mir langt es. Tschüs.«
    Ich habe die Autotür noch nicht richtig zugeschlagen, da braust sie schon weg. Die ist richtig angefressen. Da muss ich mir eine sehr gute Entschuldigung einfallen lassen, obwohl ich eigentlich gar kein richtiges Schuldgefühl habe.
Leider spielt das manchmal so gar keine Rolle. Außerdem ist Annabelle zwar nicht meine beste Freundin, aber doch eine wirklich treue Seele. Ich werde sie morgen früh anrufen und mich verbal in
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