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Liebesdienst

Liebesdienst

Titel: Liebesdienst
Autoren: Howard Jacobson
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beobachten, auf mich zukommend oder sich entfernend. So hätte es mir zum Beispiel Freude gemacht zu sehen, wie ein anderer Mann ihr Gewicht spürte, das männliche Gefühl genoss, seine Frau zu stützen, wenn es möglich gewesen wäre, dass sie sich gleichzeitig bei mir einhakte. Das alte unlösbare Rätsel – wie mit ihr zusammen sein und doch wieder nicht, wie ich zu sein und zugleich ein anderer.
    Und daraus war nun ein weiteres unlösbares Rätsel geworden, über das ich in den einsamen Stunden, die vor mir lagen, nachdenken konnte: Hatte es diesen anderen überhaupt je gegeben? War er je mit Marisa zusammen gewesen, in dem gewissen Sinn, auf den es mir ankam?
    Es regnete jetzt stärker. Als wollte sie uns zeigen, dass es ihr nicht das Geringste ausmachte, flog eine fette glänzende Krähe aus den Bäumen auf und kreuzte unseren Weg, strotzend vor Lebensgier, den Regen ignorierend, der von ihrem Gefieder abperlte. Ich spannte einen Schirm auf, besorgt um Marisa, zog sie behutsam zu mir heran, allerdings ohne recht zu wissen, wen ich hier stützte, wie es ihr wirklich ging, sicher nur, dass ich nicht fragen durfte.
    Â»Komm nach Hause«, sagte ich wieder, ihr Gewicht an meinem Arm genießend.
    Â»Und dann?«
    Wir gingen weiter, suchten uns einen Weg durch die Reihen vergrabener Gebeine. Gelegentlich blieben wir stehen, um Inschriften zu lesen. Ein Gedicht, ein paar Zeilen, ein Bibelspruch, ein Knittelvers – egal. Was machte das schon? Vermutlich hatte sich das auch Marius gedacht, als er sich, vielleicht sogar auf diesen Steinen, die Mädchen nahm, die Minderjährigen. Was machte das schon? Liebend gerne hätte ich Marisa nach ihrer Meinung gefragt, ob sie glaube, dass sich ihm diese Frage in den Beacons einmal zu oft gestellt hatte, bevor er sich auf den feuchten Boden legte und die Augen schloss – oder vorher, bevor er seine Wohnung über dem Knopfgeschäft verließ, oder gar, bevor er sie, Marisa, verließ, das heißt, wenn sie überhaupt je zusammen gewesen waren – aber ich wusste, dass ich auch das nicht fragen durfte.
    Â»Nun?«, sagte sie.
    Â»Nun was?«
    Â»Du hast meine Frage nicht beantwortet. Ich soll nach Hause kommen – und dann?«
    Es klingt schrecklich, aber ich konnte ihr keine Antwort darauf geben, weil ich selbst keine hatte.

Originaltitel: The Act of Love
Originalverlag: Jonathan Cape, London
    1. Auflage
    Copyright © der Originalausgabe 2008 by Howard Jacobson
    Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe
2012 by Deutsche Verlags-Anstalt, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
    Alle Rechte vorbehalten
    Gestaltung und Satz: DVA/Brigitte Müller
    Gesetzt aus der Dante
    ISBN 978-3-641-09465-2
    www.dva.de
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