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Liebesdienst

Liebesdienst

Titel: Liebesdienst
Autoren: Howard Jacobson
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ihre Miene stets vorwegzunehmen schien, jetzt endlich eingetreten. Das war wohl der größte Schock – dass sie jetzt ihrem Alter entsprach, nicht länger hinterherhechelte oder sich für spätere Zeiten schonte. Sie hatte ihr Leben in Besitz genommen.
    Aber vielleicht hatte sie auch schon so ausgesehen, als wir uns das letzte Mal trafen, und mir war es nur nicht aufgefallen. Es war so lange her, dass ich sie zuletzt gesehen hatte.
    Â»Komm nach Hause«, sagte ich.
    Ihre Kehle machte ein knackendes Geräusch. »Du siehst gut aus«, sagte sie.
    Â»Ich sehe aus wie ein Eremit.«
    Â»Ja, stimmt, ein bisschen. Aber es steht dir gut.« Sie hakte sich bei mir unter. »Geh ein Stück mit mir«, sagte sie.
    Ich sah auf ihre Füße. Sie hatte meinen Rat nicht befolgt und kein festes Schuhwerk angezogen, sondern stattdessen schwarze hochhackige Lacklederpumps. Wenn ich gekonnt hätte, ich hätte ihr deswegen ein Kompliment gemacht und sie gebeten, ihren Mantel zu heben, damit ich ihre Beine sehen konnte.
    Â»Mit den Schuhen versinkst du im Matsch.« Was anderes fiel mir nicht ein.
    Â»Dann muss ich mich an dir festhalten.« Sie drückte meinen Arm. »Schönes Gefühl, dich wieder anzufassen.«
    Â»Wirklich?«
    Â»Ja, sehr.«
    Â»Dann komm nach Hause.«
    Â»Hier irgendwo muss Elspeths Grab sein«, sagte sie.
    Â»Willst du hin und es dir ansehen?«
    Â»Nein, ich glaube, nicht. Er wäre gerne in ihrer Nähe begraben worden, aber es gab wohl keinen freien Platz mehr.«
    Ich sagte nichts.
    Â»Komisch, wem ihr die Treue haltet, ihr Männer«, sagte sie.
    Â»Ja?«
    Â»Es gibt etwas, das ich dir eigentlich immer sagen wollte, aber jetzt, finde ich, sollte ich es dir lieber doch nicht sagen.«
    Â»Und was ist das?«
    Â»Lieber nicht.«
    Â»Warum nicht?«
    Â»Es würde dir die Sache verderben.«
    Â»Wie das?«
    Â»Er ist nie über Elspeth hinweggekommen, das ist alles.«
    Â»Marius ist nie über Elspeth hinweggekommen?«
    Â»Nie.«
    Â»Und das heißt?«
    Â»Das heißt, dass er nicht … Ach, vergiss es.«
    Â»Was war er nicht, Marisa?«
    Â»Hier ist nicht der passende Ort.«
    Â»Und wo wäre der passende Ort?«
    Sie hielt inne, als müsste sie Luft schöpfen. Ich fragte mich, ob es ihr Schmerzen bereitete. »Ich habe ihn besser dargestellt, als er war, Felix.«
    Ich wandte mich ihr zu. Wenn ich gekonnt hätte, ich hätte ihr die Bedeutung dieser Worte von der Seele gekratzt, und hätte es ihr noch so wehgetan.
    Mir fiel wieder ein, was Marius zu mir gesagt hatte, als er mein Haus verließ. »Worte täuschen …«
    Â»Wenn du sagst, besser …«
    Â»Besser. Anders … Ich habe dir den Marius gezeichnet, den du haben wolltest.«
    Â»Den ich haben wollte!«
    Â»Ich habe dir doch gesagt, dass es dir die Sache verderben würde. Lass es bleiben, Felix. Lass es auf sich beruhen. Lass ihn ruhen.«
    Aber sie hatte es nicht ruhen lassen. Was immer diese »Sache« war, es war Marisa, die sie nicht auf sich beruhen lassen wollte, unverdorben.
    Â»Worüber reden wir hier eigentlich genau, Marisa?«, fragte ich nach. Ȇbertreibung oder Erfindung? Willst du damit andeuten, dass wir heute einen Mann begraben haben, der nie gelebt hat?«
    Â»Ja, in gewissem Sinn könnte man es so ausdrücken.«
    Â»In gewissem Sinn? Und wer war dann der Mann, der dreimal die Woche an unserer Haustür geklingelt hat? Wer hat das Bett mit dir geteilt?«
    Sie schüttelte den Kopf und seufzte. »Ach, Felix, Felix. Du bist unmöglich. Ich Dumme hätte mir gar keine Sorgen zu machen brauchen. Du lässt dir die Sache einfach nicht verderben. Fast beneide ich dich um diese Fähigkeit. Es ist eine Gabe, die ich nicht habe. Oder jedenfalls im Moment nicht habe. Na komm, es wird nass. Gehen wir weiter.«
    Es gibt Dinge, die muss man, jedenfalls in der Gegenwart des Todes, auf einen anderen Zeitpunkt verschieben. Mögen sie noch so verstörend oder sensationell sein, sie sind nicht für den Augenblick gedacht, sondern für später. Und vielleicht nicht einmal für dann. Also gingen wir los, und ich war froh darum.
    Ich hatte es immer gemocht, wenn sie sich unterhakte. Ich spürte gern ihr Gewicht, hatte gern das männliche Gefühl, meine Frau zu stützen. Manchmal stand es im Widerspruch zu dem Vergnügen, sie aus der Ferne zu
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